12.05.2018 Der Tagesspiegel
Von der Burg auf der Cöllner Spreeinsel bis zum Palast der Republik: Wie das Humboldt-Forum mit Federkiel, Mörser und Wahlurne an seine Vorgeschichte erinnert
Steht man vor dem riesenhaften Neubau des Humboldt-Forums, das zumindest von drei Seiten an das ehemalige Berliner Schloss erinnert, so wird sehr schnell klar, dass es sich um einen besonderen Ort im Zentrum Berlins handelt. Der Platz repräsentiert die Geschichte einer Kontinuität von Brüchen und Kontroversen.Es ist der Ort, an dem die herrschaftliche Macht auf die geballte Kraft und den enormen Druck einer großen kritischen Öffentlichkeit traf. Es ist ein Ort herrschaftlicher Präsentation, aber auch von Streit und Protest: Angefangen vom „Berliner Unwillen“, als die Berliner und Cöllner Bürger 1440 versuchten, den Bau einer Burg auf der Spreeinsel zu verhindern, über die sozialen Unruhen der Märzrevolution 1848, die Ausrufung der Republik durch Karl Liebknecht 1918 bis zur Zerstörung des Schlosses durch die Alliierten Ende des Zweiten Weltkrieges und seine Sprengung 1950, angeordnet von der Regierung der DDR.
Das Humboldt-Forum nimmt sich dieser und vieler weiterer Geschichten an. Vierzig Schlaglicht-Objekte werden im Sinne von Rückblenden im Haus ausgestellt. Sie sollen für den Besucher spürbar machen, dass das Humboldt-Forum mehr ist als ein wiedererrichtetes Barockschloss auf dem Grund des abgerissenen Palastes der Republik oder nur ein Museum.
Objekte halten Geschichte wie im Zeitraffer fest
In der Botschaft der erzählten Geschichten dieser Objekte lässt sich die Zukunft des Hauses ahnen. Es geht um die Suche nach Verständnis und einem neuen Selbstverständnis. Was bedeutete dieser Ort für Berlin und die Welt, über Jahrhunderte hinweg? Wollte man die Geschehnisse, wie sie sich im Verlauf der letzten fast 600 Jahre genau auf diese Stelle, in der Mitte der Insel von Alt-Cölln konzentriert haben, anhand weniger Zeitzeugen-Objekte wie im Zeitraffer festhalten, dann geht es zum Beispiel um folgende Stücke. Sie können trotz ihrer Bedeutung recht unauffällig sein.
Mit einem weißen Gänsefederkiel unterzeichnete Kaiser Wilhelm II. im Sternsaal des Berliner Schlosses die Anordnung zur Mobilmachung. Die Unterschrift besiegelte den Beginn des Ersten Weltkrieges. Weiß und fragil wie die Feder einer Friedenstaube steht sie tatsächlich für den Militarismus des Wilhelminismus, in dem die Armee als beste Schule der Nation galt. Er ist letztlich die Ursache für die Zerstörung des Schlosses. Der Federkiel macht deutlich, wie wichtig es ist, Macht verantwortlich auszuüben, Macht zu hinterfragen. Zugleich verbindet sich der Federkiel mit dem Lautarchiv der Humboldt-Universität, das gemeinsam mit dem Phonogramm-Archiv des Ethnologischen Museums ins Humboldt Forum einziehen wird: die Ansprache Kaiser Wilhelms II., die er am 6. August 1914 vom Balkon des Schlosses gehalten hat, um das deutsche Volk auf den Krieg einzuschwören, wird als historisches Tondokument in Auszügen zu hören sein.
Von chinesischen Lettern bis zur Schlossapotheke
Ein kleines massives Eichenholzschränkchen aus dem 17. Jahrhundert, die Typographia Sinica, zeigt die vielfältigen Perspektiven, die sich mit dem Berliner Schloss als „Großmutter“ der Berliner Museen verbanden. Es verwahrt Setzkästen mit Druckstöcken chinesischer Lettern aus Buchenholz und diente dem Großen Kurfürsten zur Erlernung der chinesischen Sprache. Diese Lettern wurden nicht nur gesammelt, es ging vielmehr darum, die ostasiatische Schriftkultur zu studieren und zu vermitteln, sie zu veröffentlichen. Dieser Umgang mit den unterschiedlichen Denkarten der Welt war revolutionär für Europa zu dieser Zeit. Und damit wird das Schränkchen zum Botschafter des Humboldt Forums – sich der enormen intellektuellen Aufgabe anzunehmen, Neugier, Verständnis, Empathie für die Kulturen dieser Welt zu stiften und die Verständigung zu befördern.
Marmorstatuen der brandenburgischen Kurfürsten im Treppenhaus
Auch der unscheinbare bronzene Mörser aus der Hofapotheke aus der Zeit Friedrichs I. datiert um 1700, steht für die Vielschichtigkeit der Nutzungsgeschichte des Schlosses. Es war Sitz der Verwaltungen, Arbeitsort von Hunderten von Menschen und fester Bestandteil des Alltags in Berlin. So existierte hier seit 1598 die Schlossapotheke als bürgerliche Forschungseinrichtung, die mit ihren Laboratorien eine Keimzelle der Berliner Wissenschaftslandschaft bildete. Als eine der Spuren der Geschichte im Humboldt-Forum steht der Mörser für die Wissenschaft im Schloss, für Forschung mit öffentlichem Zweck und damit für die Humboldt-Universität als starken Akteur, der Wissenschaft öffentlich vermitteln wird.
Die 14 monumentalen Marmorstatuen der brandenburgischen Kurfürsten sowie namhafter europäischer Kaiser, die Bartholomäus Eggers gegen Ende des 17. Jahrhunderts für den Alabaster-Saal des Berliner Schlosses schuf, zeugen vom dynastischen Selbstverständnis der Hohenzollern im Vorfeld der Königskrönung 1701, die sie in die erste Reihe der europäischen Königshäuser aufsteigen ließ. Sie werden im Treppenhaus des 3. OGs zu bewundern sein.
Diese unscheinbare Urne ist von großem Wert für das Humboldt-Forum, das sich als ein offenes Haus für die Bürgerinnen und Bürger Berlins, Deutschlands, Europas und der Welt versteht. Es geht um eine Plattform für mündige Bürgerinnen und Bürger, um die offene Debatte. Es bleibt zu hoffen, dass im Humboldt-Forum zukünftig nicht nur diskutiert, sondern offen miteinander disputiert wird und viele Stimmen beteiligt sein werden, die die Geschichte des jungen Humboldt-Forums mitschreiben.
Quelle: Der Tagesspiegel, 12.05.2018