„Dem Fischschwarm ins Humboldt-Labor folgen“

08.10.2018  Der Tagesspiegel

 

Wie füllt die Humboldt-Universität ihren Platz im rekonstruierten Berliner Schloss? Chefkurator Gorch Pieken gab jetzt erste Einblicke in seine Konzeption.

Von Amor Burchard

Ein interaktiver Fischschwarm soll die Besucher im Humboldt-Labor der Humboldt-Universität empfangen. Projiziert auf einen transluzenten Vorhang, reagieren die tausenden silbrigen Fischchen auf das Publikum, das aus der Berlin-Ausstellung im Humboldt-Forum, aus dem Fahrstuhl oder aus dem Café auf sie zukommt. „Die ersten drei Sekunden sind entscheidend, ob unser Angebot angenommen wird“, sagt Gorch Pieken, der Chefkurator der künftigen Ausstellung der Humboldt-Uni im rekonstruierten Berliner Stadtschloss, am Montag.
Nur fünf Monate, nachdem der vom Deutschen Militärhistorischen Museum (MHM) in Dresden nach Berlin „ausgeliehene“ Historiker seine Aufgabe übernommen hat, präsentierte er eine bis auf einzelne Objekte festgelegte Planung. Der 1961 in Friesland geborene Historiker und Experte für niederländische Philologie war 1995 bis 2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Museum in Berlin. Ab 2006 leitete er die hochgelobte Neukonzeption des Militärhistorischen Museums (MHM) in Dresden, zuletzt als wissenschaftlicher Direktor. Im Streit um eine Sonderausstellung zu „Gewalt und Geschlecht“ wurde Pieken 2017 in die Außenstelle in Berlin-Gatow und dann ans Zentrum für Militärgeschichte der Bundeswehr in Potsdam versetzt. Für die Aufgabe am Humboldt-Labor ließ er sich teilweise beurlauben.

Ein interaktiver Fischschwarm zieht Besucher in die Ausstellung

Was die Humboldt-Universität ab Dezember 2019 im ersten Stock des Humboldt-Forums mit Blick auf den Lustgarten zeigen will, blieb lange wolkig. Zu bespielen hat die HU ein 150 Quadratmeter großes Foyer und 600 Quadratmeter Ausstellungshalle. Von „fluiden Wissensräumen“ war die Rede. Jetzt machte Pieken klar, was das bedeuten könnte.

Der interaktive Fischschwarm soll die Besucher in die Hauptausstellung hineinziehen: Je mehr sie sich der Projektion nähern, desto dramatischer verwirbelt sich der Schwarm, erklärt Pieken. Was das Publikum im Foyer und in der Ausstellungshalle erwartet, klingt allerdings erst einmal schwer vermittelbar: „eine Erzählung zur Methodik wissenschaftlichen Arbeitens“. Erzählt werde entlang des „Modell“-Begriffs, der alle Disziplinen eint. Diese werden im Humboldt-Labor von den Exzellenz-Clustern vertreten, die die HU im Elitewettbewerb von Bund und Ländern seit Mitte der 2000er Jahre errungen hat.

Die lebens- und technikwissenschaftliche, die geistes- und sozialwissenschaftliche Grundlagenforschung, die zumeist in solchen großen, interdisziplinären Forschungsvorhaben betrieben wird, soll auch Laien zugänglich gemacht werden. Dafür spannt Gorch Pieken das Generalthema des Anthropozäns über die Ausstellung. Das Zeitalter, in dem der Mensch vielfach zerstörerischen Einfluss auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde nimmt, werde in Exzellenzclustern wie denen zur Bild- und Materialforschung, zu Neurologischen Erkrankungen, zur Krise der Demokratie oder zur Intelligenzforschung reflektiert.

Porzellan-Äpfel und der Magenstein eines Sauriers
Alle Vorhaben spiegelten sich im Bild des interaktiven Fischschwarms – wenn man etwa an Schwarmintelligenz oder neuronale Vernetzungen denke, sagt Pieken. Er arbeitet auch mit Clustern, die den Sprung in die neue Exzellenzstrategie nicht geschafft haben. Einer davon ist das Antiken-Projekt Topoi, das Stabilität und Instabilität antiker Gesellschaften untersuchen sollte.
Um die laufenden Forschungsarbeiten zu erklären und zu visualisieren, setzt der Kurator zwei Medien ein. Auf sechs beweglichen, etliche Meter langen Stoffbahnen werden „organische Displays“ montiert. Dort zeigen die Projekte in Bildern und Videos, woran sie arbeiten. Den verschiedenen Clustern werden aber auch konkrete Objekte aus den 45 historischen Sammlungen der Humboldt-Universität zugeordnet, darunter beispielsweise Porzellanäpfel aus einem Obstkabinett des 19. Jahrhunderts, der Magenstein eines Sauriers oder 29 Kilo Plastik aus dem Magen eines verendeten Pottwals. Diese Objekte werden teils in Glaskästen, teils direkt zum Anfassen an ein Schienensystem an die Saaldecke gehängt. So könnten Besucher sie „im Raum arrangieren“. „Wir wollen eine Forschungsausstellung zum Anfassen sein“, sagt Pieken.

Pieken will Sammlungen in ihrer ganzen Ambivalenz zeigen

Eine große Sammlung der HU indes zieht vollständig ins Humboldt-Labor: das Lautarchiv, das hier mit dem durch seine Entstehungsgeschichte verwandten Phonogramm-Archiv des Ethnologischen Museums über eine Datenbank „wiedervereinigt“ wird. Bislang hieß es, das Lautarchiv werde nur seine Bestände und seine Forschungsstelle im Schloss haben. Doch Pieken will es in die Ausstellung integrieren – trotz der teilweise problematischen Herkunft von Stimmaufzeichnungen etwa aus Kriegsgefangenenlagern des Ersten Weltkriegs. „Es wäre eine Sünde, wenn man das nicht täte – eben auch in seiner ganzen Ambivalenz.“ Die kolonialen Aspekte dieser und anderer Sammlungen würden „offen thematisiert und kritisch kommentiert“.

Schlaglichter auf eine Ausstellung, die nun sehr schnell vom Entwurf in die Umsetzung gebracht werden muss. Ein Gestaltungsbüro sei kürzlich gefunden worden, sagt Projektleiterin Frauke Stuhl, der Name werde mit Vertragsunterzeichnung verraten. Ab dem Frühsommer 2019 werden dem zehnköpfigen Team vom Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik der HU, dem auch Pieken angehört, die Flächen im Humboldt-Forum übergeben. Dann sollen Produktion und Aufbau der Ausstellung beginnen.

Knapper Zeitplan, aber das Team will im Dezember 2019 eröffnen

Stuhl spricht vom „derzeit geplanten“ Start im Dezember 2019. Sie und Pieken bekräftigen aber, dass man diesen Termin einhalten wolle, „um die Ersten zu sein, die im Humboldt-Forum eröffnen“. Wird der Chefkurator dem Humboldt-Labor danach noch zur Verfügung stehen? „Geplant ist, dass ich bis dahin bleibe und dann zurück zur Bundeswehr gehe“, sagt Pieken. Auch jetzt widme er vertragsgemäß ein Drittel seiner Arbeit dem Zentrum für Militärgeschichte in Potsdam.

Multitasking unter Hochdruck also. Doch Pieken hat in so kurzer Zeit die Sammlungen der Humboldt-Uni kennengelernt und versprüht eine solche Begeisterung für sein vielgestaltiges und polyphones Material, dass man ihm den Kraftakt durchaus zutraut.

Quelle: Der Tagesspiegel, 08.10.2018
 

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