„Stalins Städte in der DDR – Moskaus kleine Schwestern“

31.08.2018  SPIEGEL ONLINE

 

Monumentale Straßen und Plätze, ganz wie in Stalins Sowjetunion – per Radikalumbau der Stadtzentren wollte die SED Macht demonstrieren. Viele Pläne der frühen DDR-Jahre blieben Makulatur.

Von Corinna Kolbe

„Klein-Moskau“ sollte sie werden, die Hauptstadt der 1949 gegründeten DDR. Mit einem riesigen Aufmarschplatz am Lustgarten in der Stadtmitte. Dort sollten die Massen der Regierung zujubeln, vor einer Tribüne mit Plätzen für 3000 Repräsentanten des Staates und ihre Ehrengäste. Jedenfalls, wenn es nach dem Stadtarchitekten Kurt Liebknecht gegangen wäre.

„Liebknecht war im Auftrag der Moskauer Regierung nach Berlin geschickt worden, um Architektur und Städtebau am sowjetischen Muster auszurichten“, erklärt Architekturhistoriker Jörn Düwel von der HafenCity Universität Hamburg. Mit den Planungen im damaligen sowjetischen Sektor war Liebknecht unzufrieden. Er habe dem Magistrat vorgeworfen, ein Vorstadtidyll in die Innenstadt hineintragen zu wollen, schreibt Düwel im Katalog zur Ausstellung „Der Rote Gott. Stalin und die Deutschen“.

Berliner Stadtschloss: „Ausgehöhlte Ruine“

Das im Krieg zerstörte Stadtschloss der Hohenzollern in der Innenstadt stand Liebknechts Bauprojekten im Weg. Es wurde Anfang September 1950 gesprengt. Die Presse im Osten höhnte, es sei ohnehin nur noch eine „ausgehöhlte Ruine“ gewesen, „hinter der sich ausgeglühter Schutt verbirgt“. International stieß die Aktion auf scharfe Kritik. Fachleute hätten „noch manches Wertvolle retten können“, wandte auch der SPIEGEL ein.

Doch die DDR interessierte sich wenig für das Konservieren von Historie – umso mehr dafür, wie das Stalin-Regime im „großen sozialistischen Bruderstaat“ den Städtebau zur Untermauerung seines Herrschaftsanspruchs nutzte. Deshalb war Liebknecht wenige Monate zuvor nach Moskau, Kiew, Stalingrad und Leningrad gereist.

Nach Vorgaben der UdSSR formulierte die DDR-Regierungsdelegation daraufhin „16 Grundsätze des Städtebaus“. Im Zuge des sogenannten Aufbaugesetzes, parallel zur Schlosssprengung verabschiedet, sah man dringenden Handlungsbedarf in Berlin.

Architekten reichten Vorschläge zur Umgestaltung des Schlossplatzes für staatliche Masseninszenierungen ein. Auf einem Entwurf von Helmut Hennig sind drei große Demonstrationszüge zu sehen, die an einem Regierungsgebäude mit vorgelagerter Tribüne vorbeiziehen und sich zu einem Zug vereinen.

„National in der Form, sozialistisch im Inhalt“

Höchste Priorität erhielt der Umbau von Industriestädten wie Dresden, Leipzig oder Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz). „National in der Form, sozialistisch im Inhalt“ lautete der Leitsatz. Als junger Staat ohne eigene Tradition besann sich die DDR beim Wiederaufbau der Innenstädte auf regionale Charakteristika, um Identität zu stiften. So erkennt man an den Häuserfassaden entlang der Langen Straße in Rostock Verzierungen im Stil der norddeutschen Backsteingotik.

Längst nicht alle Pläne ließen sich jedoch umsetzen. Für den Zentralen Platz am Lustgarten in Berlin sah ein Entwurf eine Nachbildung des antiken Pergamonaltars vor; errichtet wurde lediglich eine steinerne Tribüne für Kundgebungen. Möglicherweise sei man unsicher gewesen, ob Moskau den Entwürfen zustimmen würde, so Düwel. Außerdem gab es in der kriegszerstörten Stadt drängendere Aufgaben: Es fehlten viele Wohnungen.

Walter Ulbricht, Generalsekretär des Zentralkomitees der SED, setzte unterdessen eine Kampagne für eine „neue deutsche Architektur“ in Gang. „Aus den Trümmern der Städte, die von den amerikanischen Imperialisten zerstört wurden“, sollten „Städte entstehen, die schöner sind denn je“, forderte er im Sommer 1950. Das künftige Bauen in Berlin könne dem gesamten Land als Vorbild dienen.

Eine Bühne für den Staat

Die Regierung lobte einen Ideenwettbewerb für ein 150 Meter hohes „Regierungshaus“ auf dem ehemaligen Schlossareal aus. Gut 50 Architekten aus sieben Ländern nahmen teil. Der Platz am Lustgarten war als Gelenk einer sieben Kilometer langen Achse konzipiert. Sie sollte als Prachtstraße von der damaligen Stalinallee (heute Karl-Marx-Allee) über den Alexanderplatz und das Brandenburger Tor bis zur Charlottenburger Chaussee im Westen führen.

In die Planungen flossen Berechnungen ein, wie viele Menschen bei regelmäßig stattfindenden Demonstrationen über Straßen und Plätze ziehen würden. Die Kundgebung am 1. Mai 1951 fand zum ersten Mal im erweiterten Lustgarten statt, der in Marx-Engels-Platz umbenannt wurde. Die SED-Parteizeitung „Neues Deutschland“ berichtete über mehr als eine Million Teilnehmer.

Zeitgleich zur Bebauung der Stalinallee ab Februar 1952 liefen Wettbewerbe in anderen großen DDR-Städten. Die Konzepte kreisten stets um den Bau einer Magistrale oder eines Zentralen Platzes; von der Bevölkerung dringend benötigte Wohnungen kamen nicht vor. Es sei nur darum gegangen, dem Staat eine Bühne zu schaffen, sagt Jörn Düwel.

Berlins Mitte, lange eine Brache

In Dresden legte Ulbricht Ende Mai 1953 den Grundstein für den Wiederaufbau des Altmarkts. Der sogenannte Sozialistische Klassizismus wurde mit Elementen des Dresdner Barocks vermischt. An der Nordseite des auf 20.000 Quadratmeter vergrößerten Platzes entstand eine Tribüne für Stand- und Fließdemonstrationen.

Nach Stalins Tod 1953 kehrte die Sowjetunion schon zwei Jahre später von ihren vorherigen Architekturmodellen ab. Diese Wende folgte ab 1956 auch in der DDR, so Historiker Düwel: „Der stalinistische Städtebau kam dort nur in einem Zeitraum von fünf Jahren zum Tragen.“

Am 4. November 1989 zog Schubert selbst über die Karl-Marx-Allee zum Alexanderplatz – auf der ersten nicht „von oben“ organisierten Demonstration. Die Teilnehmer forderten Meinungs- und Versammlungsfreiheit und appellierten an das Regime, auf Gewalt zu verzichten. Wenige Tage später sollte die Mauer fallen.

 

Quelle: SPIEGEL ONLINE, 31.08.2018

 

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