„Im Bermudadreieck der Ideen“

10.07.2017  Frankfurter Allgemeine

Mit seiner zweiten Programmausstellung „Vorsicht Kinder!“ ist das Humboldtforum dabei, zur Konsensmaschine zu werden. Dabei muss um das Projekt noch weiter gestritten werden.

Von Andreas Kilb

Die drei Intendanten des Humboldtforums haben einen Vorschlag gemacht. Er wurde abgelehnt. Das ist die Bilanz der Debatte um das Kreuz auf der Kuppel des Berliner Schlosses, die vor sechs Wochen ausbrach und vor drei Wochen verebbte. Neil MacGregor, Hermann Parzinger und Horst Bredekamp hatten angeregt, das christliche Symbol auf dem Museum der Weltkulturen durch den vierzig Meter breiten Schriftzug „Zweifel“ zu konterkarieren, den der norwegische Künstler Lars Ramberg für den baufälligen Palast der Republik entworfen hatte (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 6. Juni). Das Kreuz wird auf der Westfassade des Schlosses thronen, der Zweifel – „ein Gegengift gegen voreilige Schlüsse und falsche Versprechen“ – sollte die Ostfassade zieren.

Sechs Tage später teilte der Architekt der Schlossrekonstruktion, der Italiener Franco Stella, in einem Leserbrief an den „Tagesspiegel“ mit, er halte die Idee der Intendanten für „eine erhebliche Verunstaltung“ seines Bauwerks. Seitdem war von dem Vorschlag nicht mehr die Rede. Auf der Sitzung des Stiftungsrats Ende Juni wurde das Thema ausgeklammert. Das Treffen, hieß es, sei „konfliktfrei“ verlaufen, das Kreuz komme wie geplant. Ende eines Dienstvorgangs.

Im Inneren des wiedererbauten Schlosses

Nach neunzehn Jahren Bundeskulturpolitik ist vielen Beteiligten immer noch nicht klar, was dieser Begriff in der Praxis bedeutet. Er bedeutet, wie in der „Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum“ Vertreter des Bundestags, des Landes Berlin und von vier Bundesministerien über Fragen der Museumsplanung entscheiden. Unter Politikern gilt es als Tugend, an gefassten Beschlüssen festzuhalten. Im vorliegenden Fall hieß das: Wir haben ein Kreuz gewollt, also bleiben wir dabei. Von „Zweifel“ war nie die Rede; also schweigen wir weiter darüber. Dass das Humboldtforum kein Termingeschäft ist, sondern ein Projekt, das erst im Lauf seiner Entstehung seine endgültige Form gewinnt, ist vielen Entscheidungsträgern offenbar unbegreiflich.

Nun könnte man entgegnen, die Frage nach Kreuz oder Zweifel sei für das Weltkulturenmuseum, das im Inneren des wiedererbauten Schlosses entstehen soll, bloß äußerlich, also unwichtig. Aber im Humboldtforum ist jede Äußerlichkeit zugleich thematisch. Das „Prisma der Weltkulturgeschichte“, das „Forum der kulturellen Vielfalt, der Multiperspektivität, der Wissenschaft und der gesellschaftlichen Debatte“, wie es die Intendanten nennen, kann nicht ein bisschen multiperspektivisch sein, es muss seinen Forumscharakter in jedem einzelnen Detail beglaubigen. Ein religiöses Symbol, das goldgleißend über dem Hauptportal prangt, wird von Besuchern, Künstlern und Kuratoren als solches gelesen werden. Die Erwartungen, die es weckt, können im Inneren befriedigt oder düpiert werden, aber sie lassen sich nicht wegdiskutieren. Ein Kreuz kommt nicht zum Nulltarif.

Dichter Ideennebel im Westflügel

Den härtesten Schnellkurs in Bundeskulturpolitik haben die drei Gründungsintendanten erhalten. Zwei Jahre nach ihrer triumphalen Einsetzung durch die Kulturstaatsministerin sind Neil MacGregor und seine Mitstreiter auf dem schwankenden Boden des Machbaren gelandet. Sie haben ihren Handlungsspielraum erprobt, und er ist zu klein. Man hört von bürokratischen Widerständen, ministeriellen Gegenspielern, Reibereien mit den beteiligten Museen. Der erste Stock des Schlosses, auf dem jetzt das Schlagwort „Akademie“ klebt – früher war es „Bibliothek“ –, ist noch immer ein planerisches Bermudadreieck. Was genau das Berliner Stadtmuseum auf fünftausend Quadratmetern im Ostflügel unter dem Motto „Welt. Stadt. Berlin.“ zeigen will, bleibt trotz geschwollener Konzeptpapiere schleierhaft.

Auch über die Gefilde der Humboldt-Universität im Westflügel breitet sich dichter Ideennebel. In den beiden Obergeschossen, wo das Ethnologische und das Asiatische Museum aus Dahlem zusammenwachsen sollen, verweigern Kuratoren aus Protest gegen den Eingriff der Intendanten die Mitarbeit. Eine Erweiterung der Zugänge, etwa in Form von Außenaufzügen an der Ostfassade, die das Nadelöhr des viel zu kleinen Treppenhauses entlasten könnte, ist nicht geplant. Und genau so eisern, wie er den geplanten Eröffnungstermin im Herbst 2019 verteidigt, hält der Bauvorstand der Schlossstiftung an den absurden Stahlkäfigen in den Sälen der Berlin-Ausstellung fest, die in einer früheren Planungsphase als Behälter für Sprachlabore dienen sollten und nun vollkommen überflüssig sind.

 

Quelle: Frankfurter Allgemeine, 10.07.2017

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert