„Alles ein paar Nummern größer“

03.03.2017  Berliner Woche

 

Martin Düspohl wechselt zum Humboldt-Forum

Friedrichshain-Kreuzberg. Ja, natürlich sei das ein Einschnitt, sagt Martin Düspohl. Aber so etwas wie Wehmut verspüre er zumindest derzeit nicht.

Von Thomas Frey

Nahezu sein gesamtes bisheriges Berufsleben hat der 59-Jährige in der bezirklichen Kulturverwaltung verbracht. Zunächst als Mitarbeiter im Amt, ab 1991 als Gründer und seither Chef des zunächst Kreuzberg-, später Friedrichshain-Kreuzberg Museums. Während dieser Zeit ist Martin Düspohl zu einer Institution geworden, eine Art historisches Gedächtnis des Bezirks.

Diese Epoche ging im Februar zu Ende. Martin Düspohl hat inzwischen eine neue und gleichzeitig eine der spannendsten Aufgaben in der Museumslandschaft der Stadt übernommen. Er ist jetzt einer von aktuell sieben Kuratoren für die künftige Berlin-Ausstellung im derzeit entstehenden Humboldt-Forum, also dem Neubau des ehemaligen Stadtschlosses, das nach bisherigem Stand Ende 2019 eingeweiht werden soll – einschließlich der dann fertig konzipierten Ausstellung.

Geschichte von unten

Schnell wird klar, dass es nicht viel Überredung gebraucht hat, um Düspohl dafür zu begeistern. Gegen Ende eines Berufslebens noch einmal so eine Herausforderung zu bekommen, sei natürlich spannend. Und auch der finanzielle Spielraum wäre beim Humboldt-Forum wohl etwas üppiger bemessen, als im Bezirksmuseum, meint Martin Düspohl mit ironischem Understatement. Gerade bei diesem Thema ist er in Friedrichshain-Kreuzberg immer wieder an Grenzen gestoßen, die auch „frustrierend“ gewesen seien. Bei einem Jahresetat von nicht einmal 10 000 Euro freihändig zu vergebenen Mitteln ein interessantes Programm auf die Beine zu stellen, sei nicht immer einfach gewesen. Zwar konnten für das eine oder andere Projekt auch Fördermittel akquiriert werden, „aber in der Regel waren dafür vier Anträge nötig, bevor einer bewilligt wurde“. Überhaupt habe viel Bürokratie, einschließlich Haushaltsvorgaben wie die Kosten-Leistungsrechnung, einen großen Teil seiner Arbeitszeit absorbiert.

Aber es waren nicht zuletzt diese Bedingungen, die ihn für seinen neuen Job prädestinieren. Schon wegen der fehlenden Mittel verfolgte das Bezirksmuseum ein partizpatorisches Konzept. Akteure und Bürger wurden bei Ausstellungsplanungen mit einbezogen oder sie fußten auf deren Ideen. Fotoserien, etwa von Jugendlichen, bekamen ebenso Raum wie Projekte von Gruppen und Initiativen. Was wiederum gut zum basisnahen Ansatz in Friedrichshain-Kreuzberg passte.

Paul Spies, dem neuen Leiter des Berliner Stadtmuseums und in dieser Funktion auch verantwortlich für die Schau im Humboldt-Forum, schwebt ähnliches vor. Der Niederländer praktizierte diese „Historie von unten“ ebenfalls mit Erfolg an seiner früheren Wirkungsstätte, dem Amsterdam Museum. Und er kannte Martin Düspohl von Treffen europäischer Ausstellungsmacher. In deren Reihen sei Friedrichshain-Kreuzberg auch schon länger kein weißer Fleck auf der Landkarte mehr. Eine Aussage, bei der auch mitschwingt, dass oft ein Blick von außen manches besser wahrnimmt. Im Bezirk habe die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte eben nicht den Stellenwert, wie an anderen Orten in Berlin, meint Martin Düspohl. Was wohl daher rührt, dass diese Geschichte weniger von einer langen Tradition als vielmehr dauernder Veränderung erzählt.

Einwanderung und Widerstand

Gerade letzteres erwies sich für seinen neuen Job aber ebenfalls als Vorteil, denn er soll sich als Humboldt-Kurator vor allem um die Themen Einwanderung sowie Revolution und Widerstand kümmern. Sie waren schon bisher wichtige Schwerpunkte seiner Arbeit.

Das heutige Friedrichshain-Kreuzberg war seit seiner ersten dichteren Besiedlung immer ein Zuzugsort von Migranten. Gut veranschaulicht wurde das in der Ausstellung „Ortsgespräche“, die bis Januar fünf Jahre lang im Haus an der Adalbertstraße zu sehen war. Schon deshalb hat Friedrichshain-Kreuzberg ein wichtiges Kapitel Berliner Stadtgeschichte geschrieben.

Gleiches gilt, wenn es um Protest und Aufbegehren ging. Die Revolution von 1848 hat nicht nur durch den Friedhof der Märzgefallenen im Volkspark Friedrichshain ihre Spuren im Bezirk hinterlassen. Die Samariterkirche und weitere Orte stehen für den friedlichen Umsturz 1989, und die Auseinandersetzungen um die Kahlschlagsanierung nicht nur am Kottbusser Tor für den Widerstand gegen eine betonierte Stadtentwicklungspolitik und den Beginn bürgerschaftlichen Engagements. Diesen und anderen Spuren ist Martin Düspohl in seiner Zeit als Museumschef nachgegangen, teilweise auch als Pionier. Etwa als er vor 20 Jahren das Anbringen der ersten Berliner Stolpersteine an der Oranienstraße durchsetzte.

Natürlich sei einiges erreicht worden, meint der scheidende Museumsleiter, anderes wäre zumindest auf dem Weg. Aber manches ließ sich eben auch nicht verwirklichen. Gerne hätte er zum Beispiel noch eine Ausstellung über den „Summer of Love“ vor 50 Jahren organisiert, erzählt Martin Düspohl. 1967 habe noch mehr als das inzwischen zur Chiffre gewordene 1968 für viele gesellschaftliche Umbrüche gestanden – von der Musik, über die Mode, den ersten Wohngemeinschaften, der Hippiebewegung, Drogen, freie Liebe, oder was dafür gehalten wurde. Daraus ist aber nichts geworden. Es fehlte wieder einmal das Geld. tf

 

Quelle: Berliner Woche, 03.03.2017

 

 

 

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