„Im Museum ist jedes Ding ein Flüchtling

14.10.2016   Welt

Wie sollen die außereuropäischen Sammlungen der Berliner Museen im Humboldtforum ausgestellt werden? Das Ethnologische Museum diskutiert darüber, dass auch Gegenstände eine Biografie haben

Von Marcus Woeller

Dahlem ist ein trauriger Ort. Jedenfalls das Museumsquartier im von märkischen Kiefern und Instituten der Freien Universität durchwucherten Stadtviertel im Berliner Südwesten. Noch sind zwar Teile der Sammlungen zu sehen, aber das meiste ist gut verpackt aus dem Scheinwerferlicht des Schaubetriebs ins Dunkel der Depotverwaltung verlagert. Denn das Ethnologische Museum zieht um, nach Berlin-Mitte ins Humboldtforum.

Museen sind sowieso traurige Orte. Das sagt der Anthropologe James A. Boon und betrauert die Institution an sich. Sie sei ein Aufbewahrungsort aus dem Zusammenhang gerissener Fragmente, die vom Ort und Zweck ihrer Produktion losgelöst sind, um in Systeme der Repräsentation eingeordnet zu werden. In Dahlem, wo leere Vitrinen und verwaiste Räume vor sich hin gähnen, ist Melancholie zu spüren. Aber auch Aufbruchsstimmung.

Während sich die Staatlichen Museen zu Berlin um die Dekontamination der außereuropäischen Sammlungen – in konservatorischer wie in ethischer Hinsicht – bemühen, ist die Diskussion, wie sie einmal im Humboldtforum gezeigt werden sollen, in vollem Gange. Dazu trug jetzt auch das Haus der Kulturen der Welt bei. Das ist momentan zwar geschlossen, weil Sanierungsarbeiten laufen, aber als mobiler Debattierklub zieht es unter dem Motto „out and about“ durch die Lande. Jetzt gastierte man mit drei Vorträgen im Ethnologischen Museum.

Tiefschlaf im Museumsdepot

Die britische Sozialanthropologin und Museologin Sharon Macdonald von der Berliner Humboldt-Universität hatte sich bereits im Rahmen des Projekts Humboldt Lab Dahlem mit den Biografien einiger Sammlungsgegenstände im Depot der afrikanischen Abteilung beschäftigt. Fasziniert von diesem verborgenen Lager machte sie auch hier traurige Funde. Etwa „Bocio“-Figuren aus Benin, die seit Jahrzehnten im Besitz des Museums sind, aber noch nie ausgestellt wurden.

Wie sind diese schlafenden Objekte nach Berlin gelangt? Wie haben sie den Besitzer gewechselt – durch Tausch, Kauf, Raub oder Schenkung? Und wie kann man sie nun, da sich museale Kategorisierungssysteme ethnografischer Objekte stark verändert haben, wieder aufwecken?

Auch der in Australien lehrende Soziologe Tony Bennett betonte die Wandelbarkeit des Museumsdings. „Objekte ohne Geschichte sind nicht real“, konstatierte er anhand eines Umhangs aus gewobener Baumrinde aus dem Ethnologischen Museum. Erst in der Geschichte (nur so viel: Kapitän James Cook brachte den Mantel von einer Reise mit, die königlich preußische Kunstkammer erwarb ihn auf einer Auktion) offenbarten sich die veränderlichen Wirklichkeiten des Artefakts.

War es das wert, Artefakte nach Europa zu bringen?

Der indisch-amerikanische Ethnologe Arjun Appadurai brachte es auf den Punkt: „Alle Objekte in den westlichen Museen sind Flüchtlinge aus Versehen.“ Tatsächlich sind die heutigen Museumsstücke ebenso verpflanzt worden und finden sich in völlig veränderten Kontexten wieder. Appadurai erzählt die Reisehistorie einer guatemaltekischen Stele der Cotzumalhuapa-Kultur mit dem Relief eines rituellen Ballspiels, die in einer an Fitzcarraldo erinnernden logistischen Leistung von Mittelamerika nach Mitteleuropa verbracht wurde. War es das überhaupt wert, fragt er sich.

Welche Geschichte(n) erzählen wir im Humboldtforum, werden sich die Museumsmacher fragen. Denn ob Flüchtling oder nicht, ein jedes Objekt in den Beständen der außereuropäischen Sammlungen ist aufgeladen mit historischen und aktuellen, ethnologischen wie populären Narrativen. Und alle konkurrieren sie miteinander.

Wie kann es also gelingen, die schlummernden Artefakte nicht nur zu erwecken, sondern sie im Spiegel ihrer Biografie darzustellen, ohne sie in ausufernden Erklärtexten zu ersticken? Mit der nahenden Schließung der Dahlemer Museen werden die Erwartungen an die Vermittlungsstrategien des Humboldtforums jedenfalls immer größer.

 

Quelle: Welt, 14.10.2016

 

 

 

 

 

2 Kommentare zu “„Im Museum ist jedes Ding ein Flüchtling

  1. Appaddurai bringt es nicht auf den Punkt und die Überschrift ist unsinnig, fehlt es doch am historischen Verständnis der Gründe und Ziele, die einer Sammlung zugrunde liegen.

  2. Alle reden von Flüchtlingen. Wir haben sie. Zeitgeistgeschwätz!  Viel zu viel Palaver um ein paar Objekte der Menschheitsgeschichte, die vielfach zur  Entstehenszeit  keinen Pfifferling wert waren, und kaum jemanden interessiert hatten. Die hohen Erwartungen, die an Herrn McGregor geknüpft werden, wird er trotz zahlreicher Vorschusslorbeeren nicht erfüllen können, denn letztlich müssen die Objekte selbst sprechen und lassen sich nichts einflüstern.

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