Es stimmt: Die Kolonialzeit ist ein dunkles und blutiges Kapitel europäischer Expansion, auf deren Fundament jedoch die heutige Weltordnung und der Wohlstand der Industrieländer ruhen. Der Völkermord an den Herero und Nama ist wohl das schlimmste Beispiel für Gräueltaten, die in deutschen Kolonien begangen wurden. Die Kolonialzeit bestand jedoch nicht aus einer endlosen Aneinanderreihung von Gewalthandlungen, ausgeführt von all jenen Männern und Frauen, die irgendwann in einer deutschen Kolonie tätig waren. Das gilt auch für ethnografische Sammlungen, die heute angesichts politisierter Wahrheitsfindung unter dem Generalverdacht stehen, den Menschen vor Ort gewaltsam entrissen worden zu sein; sie stellten deshalb, so die Argumentation postkolonialer Aktivisten, unrechtmäßig angeeignetes Kulturgut dar und müssten "zurückgegeben" werden.

Götz Alys Buch Das Prachtboot über ein Boot von der Insel Luf, Teil der Hermit Islands im Bismarck-Archipel (heute zu Papua-Neuguinea gehörend), stellt den Anspruch, "die Wahrheit über das Prachtboot" darzustellen. Es ist jedoch ein Paradebeispiel dafür, wie ethnografische Objekte und Sammlungen in eine koloniale Gräuelgeschichte eingewoben werden. Diese besteht aus zielgerichtet gesuchten und effektvoll zusammengestellten gewaltvollen Episoden aus den verschiedensten Regionen der deutschen Südseekolonien.

Die Schlussfolgerung des Buchs: Das Prachtboot wurde "schlicht enteignet" und einer "gnadenlos dezimierten Inselbevölkerung einfach weggenommen". Die ethnologische Sammlung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sei deshalb ein "Monument der Schande". Aber es stehe nicht allein da: Achtzig Prozent aller Südseeobjekte in deutschen Museen seien größtenteils "zusammengestohlen", weil sie auf "zehntausendfach angewandte Praktiken kolonialer Gewaltherrschaft" zurückgingen, auf "massenhafte Hehlerei", "betrügerischen Erwerb", "systematischen Diebstahl und Raubmord".

Das fast 16 Meter lange und zehn Meter hohe Hochsee-Segelboot mit Ausleger steht heute als eines der Highlights im Humboldt Forum. Eduard Hernsheim, Inhaber der gleichnamigen Handelsgesellschaft in der Kolonie Deutsch-Neuguinea, hatte das Boot von dem Kaufmann Max Thiel 1903 erworben und es 1904 nach Berlin verkauft.

Den Nachweis, dass das Luf-Boot gestohlen oder enteignet wurde, bleibt Aly schuldig. Aber gerade weil schriftliche Zeugnisse über den Erwerb dieses Bootes fehlen, bedürfen die Erwerbsumstände einer differenzierten Annäherung und die Schlussfolgerungen Alys einer Überprüfung. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde methodisch die ethnologische Provenienzforschung angewendet, die auf konkrete Erwerbsumstände und soziokulturelle Kontextualisierung des Objekts (Herstellung, Verwendung, Bedeutung) fokussiert. Ergänzend habe ich Resultate meiner Feldforschungen zu Männergemeinschaften und Kulthäusern in Papua-Neuguinea kulturvergleichend herangezogen.

Aly erklärt die "Wegnahme" des Luf-Bootes mit einem zwanzig Jahre früher – 1882/83 – durchgeführten Strafkommando (nach Gerüchten über die Ermordung eines Händlers und nach Überfällen auf Handelsschiffe). Nach dem Vorbild eines britischen Kriegsschoners, der schon acht Jahre zuvor eine Strafaktion auf Luf (aus dem gleichen Grund) durchgeführt hatte, beschossen die Deutschen Häuser und Boote, zerstörten Pflanzungen und töteten Menschen. Für diese Strafaktionen – so berichtete der deutsche Kommandant der Kriegsschiffe irritiert – hatten die Bewohner der Nachbarinsel Kaniet sofort ihre Hilfe angeboten, ja es schien "die ganze Bevölkerung große Freude über die bevorstehende Bestrafung ihrer Nachbarn und früheren Freunde zu empfinden". Diese vermeintlichen "früheren Freunde" spielten denn auch bei der Bestrafungsaktion als Späher und "Vermittler" auf der Insel eine ambivalente Rolle. Kein Wunder, müsste man aus heutiger Perspektive anfügen, denn die Bewohner von Luf verübten immer wieder Überfälle auf die rund einhundert Kilometer entfernten Inseln Kaniet und Ninigo.