Die Hauptargumente für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses

Obwohl schon im Sommer 2002 die Schlossentscheidung im Deutschen Bundestag gefallen ist, bleibt es interessant, die wichtigsten Argumente pro Schloss zu kennen:

Die Bauentscheidung für den Schlossplatz wird unumkehrbar die architektonische Qualität des Berliner Zentrums beeinflussen, sie entscheidet, ob die Mitte, die jetzt nur Durchgangsstation ist, von der Bevölkerung wieder angenommen und damit wieder zum Oberzentrum der Stadt wird.
  1. Der Palast der Republik fügte als Solitärbau dem historischen Ensemble schweren Schaden hinzu. Wird er in alter Form wieder ausgebaut und mit einem Anbau erweitert, um das gähnende Loch in der Mitte Berlins zu schließen, wird das Zentrum der Stadt endgültig deformiert und zusammenhanglos, bleibt der Horror des Vakuums, den das gesprengte Schloss hinterließ. Gestaltet man ihn in seinen äußeren Fassaden und im Inneren jedoch um, ist er nicht mehr der Palast der Republik, sonder ein beliebiges modernes Gebäude. Alle Argumente für seinen Erhalt aus Gründen der Identität und Geschichte wären damit hinfällig.
  2. Entscheidet man sich für ein Gebäude in der Architektursprache des ausgehenden 20. Jahrhunderts, ähnelt es äußerlich voraussichtlich Dutzenden von Bauten in der Stadt. Es wird ebenfalls keinen Beitrag zur Rehabilitation der historischen Mitte leisten: Industrielle Architektur und Bauausführung sind nicht mit den einmaligen Kunstwerken der historischen Stadtarchitektur vereinbar, wie man in vielen Städten nach den Kriegszerstörungen und modernem Neuaufbau der Zentren inzwischen erkannt hat.
    Neben dem materiellen Alter eines Baudenkmals hat es ein immaterielles Bedeutungsalter: Gebäude, die identitätsgebend waren, prägend für den Charakter einer Stadt oder Landschaft, dürfen selbst nach der Charta der UNESCO neu errichtet werden, wenn sonst ein Stück des geschichtlichen Gedächtnisses ausgelöscht würde. Voraussetzung ist eine Dokumentation, die eine wirklich authentische Kopie ermöglicht. Eine Konferenz der europäischen Denkmalpflege in Klagenfurt im Jahr 1994 forderte genau aus diesem Grunde den Wiederaufbau der durch Kriegszerstörungen völlig entstellten Stadt Mostar in Jugoslawien, um so ein Stück des europäischen Geschichtsgedächtnisses wiederherzustellen.Für das Berliner Schloss treffen alle diese Kriterien zu, ohne es wäre die Entwicklung Berlins zur Metropole undenkbar. Es beherrschte die Stadtmitte und faßte sie zusammen. Nur seine Rekonstruktion in den wichtigsten Bauteilen macht die Mitte wieder zum Gesamtkunstwerk Berlin, entsteht wieder das alte „Spreeathen“ als spannendes Gegengewicht zu den großen Quartieren der Moderne rundherum, die in überwältigender Weise Besitz von der Stadt genommen haben und die die ursprüngliche Identität der Stadt fast zerstört haben. Berlin wird mit der Rehabilitation der alten Mitte wieder austariert. Das Neue Schloss gibt den einzelnen Baukunstwerken wieder Zusammenhang und Halt und stellt ihren ursprünglichen künstlerischen Wert wieder her, war dieser doch immer auf das Ensemble bezogen. Es wird ihr Bezugspunkt wie in den Jahrhunderten zuvor, wird zum Gravitationszentrum der Stadt, zu ihrem Kristallisationspunkt.
  3. Das in diesem Spannungsbogen von Alt und Neu wieder aufgebaute Berlin wird zu einem Langzeit-Besuchermagnet in Zentraleuropa, weil großartige europäische Kultur mit dem american way of life und dem Berliner Pep gleich-berechtigt verwoben wird. Die Gestalt der historischen Mitte, im Kontext und als Gegengewicht zu den Quartieren der Moderne, entscheidet zudem über den architektonischen Rang der Stadt im Konzert der europäischen Kulturstädte für die nächsten Jahrhunderte.
  4. Die teilweise Wiederherstellung auch des Schlossinneren, zunächst in schlichter Form, und vor allem des Schlüterhofes gibt dem neuen Zentralbau Berlins ein unvergleichliches Alleinstellungsmerkmal. Ein solches Ambiente, in einer Collage verbunden mit vielen neuzeitlich gestalteten Räumen wird mehr Nachfrage dauerhaft auf das Haus ziehen wie ein ausschließlich im Stil des beginnenden 21. Jahrhunderts gestaltetes Gebäude. Den besten Beweis hierfür lieferte der G-7 Gipfel in München. Er fand dort in der nach fast vollständiger Zerstörung im 2. Weltkrieg weitgehend originalgetreu wiederaufgebauten Münchner Residenz statt, die hierzu mit Millionenaufwand hergerichtet wurde. Weit billiger hätte man das im örtlichen modernen Kongreß- und Kulturzentrum Gasteig haben können, denn dort war die gesamte benötigte Infrastruktur längst vorhanden. Man entschied sich jedoch für das Schloß, nicht zuletzt wegen der Kälte der Architektur des Gasteig. Die Bundesregierung wollte ihren Gästen die Atmosphäre des großartigen Ambientes des rekonstruierten Antiquariums der ehemaligen königlich-bayrischen Residenz nicht vorenthalten, weil man weiß, daß der äußere Rahmen entscheidenden Einfluß auf die Qualität der Kommunikation hat.
  5. Ein Architekturwettbewerb „Modern gegen Schlüter“ wird keine neuen Erkenntnisse bringen. Die emotionale Vorentscheidung der Menschen wird dem Wettbewerb kein sachliches Ergebnis ermöglichen. Er funktioniert ebenso wenig wie z.B. der Wettbewerb zwischen einer Symphonie von Mozart und einer von Strawinski. Ein Urteil darüber kann nur emotional gefällt werden. Schönheit ist kein wissenschaftlich erklärbarer Begriff. Alle angeblich sachlichen Argumente pro oder contra Schloss wirken deswegen nur konstruiert. Auch der Siegerentwurf Sir Norman Forsters zum Reichstag hat keinerlei Ähnlichkeit mit dem danach Gebauten. Sein preisgekröntes Dach wurde nicht gebaut, statt dessen kam die Kuppel wieder. Eine emotionale Entscheidung, die die Sachargumente seines Entwurfs beiseite wischte. Dieses Ergebnis hätte man auch ohne Wettbewerb in gleicher Qualität einfacher, billiger und ehrlicher haben können.