Warum braucht die Republik ein Schloss?

Eine bemerkenswerte Rede von Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert anlässlich der Eröffnung der großen Wanderausstellung „Was für ein Schloss!“ in Düsseldorf.

Die E.ON-Zentrale in Düsseldorf beheimatet bis Mitte Oktober eine Ausstellung über den Wiederaufbau des Berliner Schlosses als Humboldt-Forum. Die Wanderausstellung wurde im Beisein von Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert, Dr. Johannes Teyssen (Vorsitzender des Vorstands von E.ON), Manfred Rettig (Vorstand und Sprecher der Stiftung Berliner Schloss – Humboldt-Forum) und Wilhelm von Boddien (Geschäftsführer des Fördervereins Berliner Schloss e.V.) eröffnet und ist vom 8. September bis zum 15. Oktober 2014 montags bis freitags zwischen 8 und 20 Uhr in der Glashalle von E.ON am E.ON-Platz 1 in Düsseldorf für die Öffentlichkeit zu sehen. Der Besuch der Ausstellung ist kostenfrei, eine kurze Anmeldung am E.ON-Empfang genügt.
Die Ausstellung über das Berliner Schloss-Humboldt-Forum erläutert mit vielen anschaulichen Bildern die wechselvolle Geschichte dieses prominenten Ortes der deutschen Hauptstadt. Ein großes Architekturmodell gibt einen Überblick über das Bauvorhaben, verschiedene barocke Skulpturen machen die Wiederherstellung der historischen Fassaden anschaulich, Touchscreens geben Antworten auf häufig gestellte Fragen. Mit einem „Schubladenmodell“ kann man sogar in das Innere des späteren Gebäudes schauen. Zugleich erläutert die Wanderausstellung die Bedeutung des Schlosses als städtebaulichen und architektonischen Bezugspunkt im Zentrum Berlins. Die Eröffnungsrede hielt Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert vor 250 Gästen, hier seine Rede:

„Wenn eine Republik ein Schloss baut, sollte sie dafür besonders gute Gründe haben. Und wenn eine Volksvertretung mit freigewählten demokratischen Abgeordneten, mit einer Zweidrittelmehrheit eine solche Entscheidung trifft, dann wird sie sich das hoffentlich gut überlegt haben. Beides kann ich bestätigen. Und deswegen habe ich die Einladung auch gerne angenommen, heute Morgen bei dieser Präsentation dieses bedeutenden Projektes mitzuwirken, um ein paar Sätze der Erläuterung zu sagen, warum eine Republik ein Schloss braucht, und warum in Zeiten von Haushaltszwängen und Konsolidierung öffentlicher Finanzen eine Volksvertretung schon gar mit so erstaunlich breiter Mehrheit – erkennbar deutlicher als die damalige Koalitionsmehrheit – eine solche Entscheidung getroffen hat.
Das hat natürlich etwas zu tun mit der deutschen Geschichte. Das hat aber natürlich auch, nicht nur im Entscheidungsprozess, sondern auch in den damit verbundenen Absichten, etwas zu tun mit Politik. Dass es sich beim Berliner Schloss – dem Gebäude wie dem Platz – um den herausragenden einzelnen Platz in Berlin handelt, ohne den sich im Übrigen städtebaulich die Berliner Stadtgeschichte gar nicht vorstellen lässt, das ist unter eigentlich allen an dieser Diskussion je Beteiligten völlig unstreitig; selbst dann, wenn es sie bei der Beantwortung der Frage, was man auf diesem zwischenzeitlich geräumten Platz denn neu errichten sollte, zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen geführt haben mag.
Für unsere damaligen Überlegungen im Deutschen Bundestag hat eine erhebliche Rolle die Einsicht gespielt, dass an genau diesem Platz und an genau oder in genau diesem Gebäude, im 15. Jahrhundert, die Brandenburger Geschichte begonnen hat. Dass von hier aus, vom Beginn des 18. Jahrhunderts an, Preußen regiert wurde und vom Ende des 19. Jahrhunderts an Deutschland, das es bis dahin gar nicht gab. Mit anderen Worten, das Berliner Schloss ist um einiges älter als der deutsche Nationalstaat.

Nun muss man, schon gar in einem Gedenkjahr wie diesem 2014 – in dem wir an den 100. Jahrestag des Ersten Weltkrieges und den 75. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges erinnern und in ein paar Wochen an den 25. Jahrestag des Falles der Berliner Mauer, die gar nicht hätte fallen können, wenn es die beiden anderen Ereignisse nicht gegeben hätte, weil sie gar nicht gebaut worden wäre – in einem solchen Jahr muss man nicht daran erinnern, wie ungewöhnlich kompliziert und gebrochen die deutsche Geschichte gewesen ist und wie schwer es genau deswegen vielen Menschen in unserem Land fällt, sich mit der eigenen Geschichte und ihren Verirrungen in einer ähnlichen Weise zu identifizieren, wie es das all unseren Nachbarn scheinbar problemlos gelingt.
Die Entscheidung für die Wiedererrichtung des Berliner Schlosses hat natürlich etwas zu tun mit unserer Überzeugung, dass auch und gerade Deutschland, dieses große Land mitten in einem jetzt zusammenwachsenden Europa, ein Verhältnis zu seiner eigenen Geschichte braucht. Dass wir die Vergangenheit nicht verdrängen können und wollen. Deutschland ist im Übrigen längst über den Verdacht erhaben, es neige zur Glorifizierung seiner eigenen Vergangenheit. Keinem Land in Europa wird dieser Vorwurf seltener gemacht als uns. Es werden uns andere Vorwürfe gemacht, aus plausiblen Gründen – dieser nicht. Aber gerade weil wir kritisch und selbstkritisch mit unserer eigenen Vergangenheit umgehen, haben wir auch eine besondere Legitimation, sie nicht aus unserer Erinnerung tilgen zu wollen. Was im Übrigen ja auf den grotesken Versuch hinaus liefe, sich einzubilden, als habe die deutsche Geschichte 1945 begonnen. Oder 1989, eine ähnlich absurde Vorstellung. Sie ist älter und es ist die ganze deutsche Geschichte, die die Wahrnehmung dieses Landes durch unsere Nachbarn prägt und die für unser Selbstverständnis als Deutsche wichtig und bedeutsam ist. Dass dieses Schloss 1950 von den kommunistischen Machthabern in einem Anflug von Hybris gesprengt wurde, hatte ja auch mit der absurden Vorstellung zu tun, man könne mit der Sprengung dieses Gebäudes und der scheinbaren Tilgung einer Vergangenheit, mit der man nichts zu tun haben wollte, eine neue und bessere Zukunft aufbauen. Dieser Versuch ist nachweislich grandios gescheitert.
Natürlich hätte bei der damals anstehenden Frage nach Wiederherstellung der Deutschen Einheit, nach Umzug von Parlament und Regierung von Bonn nach Berlin, für diesen Platz auch eine andere Nutzung in Frage kommen können. Auch ein dafür architektonisch anders konzipiertes Gebäude, und mit dieser Frage haben sich damals viele Sachverständige und am Ende auch die Abgeordneten im Deutschen Bundestag sehr intensiv auseinandergesetzt. Ich räume im Übrigen freimütig ein: Am Beginn dieses damaligen Diskussionsprozesses habe ich zu denjenigen gehört, die sich auf diesem Platz eine brillante zeitgenössische Architektur sehr gut hätten vorstellen können. So etwas wie das Centre Pompidou in Paris (leichte Unruhe im Saal). Das hätte ich jetzt besser nicht sagen sollen, obwohl ich mal vermute, dass viele von Ihnen ebenso denken „na, dann ist es mit dem Schloss sicher besser so.“
Viele, die sich dann mit diesem Thema sehr intensiv beschäftigt haben, haben nicht nur begreifen müssen, dass dieser Platz eine völlig andere Geschichte hat als andere scheinbar vergleichbare Plätze und Gebäude. Sondern dass sich die zerstörte Mitte Berlins, einer Stadt, die von diesem Schloss aus erst entstanden ist, überzeugend nicht anders wiederherstellen lässt als mit der Wiederherstellung dieses mutwillig gesprengten Gebäudes, das sich im Übrigen rein technisch/bautechnisch betrachtet, am Ende des 2. Weltkrieges trotz heftiger Schäden in einer weit solideren Verfassung befand als manch andere Berliner Schlösser, die in der Zwischenzeit selbstverständlich wieder hergerichtet und genutzt werden. Und das war dann interessanterweise auch das ganz überwältigende Votum der Expertenkommission, die wir mit der Frage beauftragt hatten, eine überzeugende architektonische Lösung für diesen Platz vorzuschlagen. Und da ich ja hier manche sehe, die mit der damaligen Entscheidungsfindung in anderen Ämtern noch eng verbunden waren, will ich mal nur daran erinnern, dass damals, als die Zusammensetzung dieser Kommission unter Vorsitz eines Österreichers bekanntgegeben wurde, das Feuilleton ziemlich sicher war, nun sei klar, dass das Schloss nicht wieder aufgebaut würde. Denn die Zusammensetzung dieser Kommission stelle geradezu sicher, dass da ein zeitgenössischer Baukörper entstehen würde.
Ja, die Damen und Herren in dieser Kommission waren vermutlich selbst überrascht, dass am Ende ihreseigenen Beschäftigungsprozesses mit diesem Thema das Ergebnis herauskam, über das wir heute in dieser – wie ich finde – sehr gut gelungenen Ausstellung sowohl historisch wie konzeptionell unterrichtet werden. Nämlich die Wiederherstellung des zentralen Gebäudes der Berliner Stadtgeschichte, der Geschichte des preußischen Staates und der Vorgeschichte des deutschen Nationalstaates.

Und wenn ich vorhin gesagt habe, die Entscheidung im Bundestag hat natürlich nicht nur etwas mit Geschichte und unserem Verständnis von Geschichte zu tun, sondern auch mit Politik, dann deswegen, weil wir ja gleichzeitig darüber entschieden haben, dass in dieses Schloss nun nicht ein Verfassungsorgan einzieht. Weder der Bundespräsident, der da genug Platz hätte, noch der Deutsche Bundestag, der im Übrigen in einem ebenfalls grandios restaurierten Gebäude, dem Reichstagsgebäude, seinen Sitz gefunden hat, noch das Kanzleramt oder andere denkbare staatliche Institutionen. Sondern dieses wiederhergestellte Berliner Schloss wird ein öffentliches Gebäude für Kunst, Kultur und Wissenschaft und damit, das ist der politische Teil der Entscheidung, verbinden wir den Blick zurück, den das Gebäude sicher in seiner Architektur vermittelt und vermitteln soll, konzeptionell mit einem Blick in die Zukunft.
Denn auf dem prominentesten Platz, den es nicht nur in Berlin gibt, sondern vermutlich auch prominentesten Platz, der in irgendeiner europäischen Hauptstadt überhaupt noch bebaubar ist, entsteht ein einzigartiges Konzept der Begegnung europäischer und außereuropäischer Kulturen. Womit ausgerechnet der deutsche Nationalstaat, der sich noch mehr als andere europäische Nationalstaaten um sich selbst gedreht hatte und glaubte, sich selbst zu genügen und mit der Fixierung auf sich selbst seine Umgebung und womöglich den Rest der Welt beeinflussen, wenn nicht dominieren zu können, ein Bekenntnis der überfälligen historischen Einsicht abliefert, dass die Welt des 21. Jahrhunderts anders aussehen muss. Dass wir in einer globalen Welt leben, deren Überleben ganz wesentlich davon abhängt, dass die Menschen sich untereinander begreifen, dass sie von ihrer jeweiligen Geschichte wissen, von ihren Hoffnungen, ihren Sehnsüchten, ihren Erfahrungen, ihren Enttäuschungen. Das alles wird demnächst in Berlin möglich sein.
Das ist nicht nur, meine Damen und Herren, das zugegebenermaßen teuerste Projekt, das sich diese Republik im Augenblick leistet, es ist auch sicher das ehrgeizigste und, wie ich glaube, das spannendste. Dass das Humboldt-Forum, das im Berliner Schloss untergebracht werden soll, den Namen der beiden großen Brüder Wilhelm und Alexander von Humboldt trägt, verdeutlicht das Programm und das Konzept, das wir mit dieser Absicht verbinden. Von Alexander von Humboldt stammt im Übrigen der schöne Satz: „Die Deutschen brauchen für jede Dummheit zweihundert Jahre. Hundert um sie zu begehen und hundert um sie einzusehen“. Für die Dummheit, das Berliner Schloss zu sprengen, hat die damalige Staatsführung der DDR ein halbes Jahr gebraucht. Wir haben dann gut 50 Jahre gebraucht um diese Dummheit einzusehen, nachdem durch die Wiederherstellung der Deutschen Einheit überhaupt die Voraussetzungen dafür geschaffen waren, sie zu korrigieren.
Wir korrigieren sie jetzt. Und wir setzen damit ein Zeichen für das Selbstverständnis dieses Staates und unserer Vorstellung über das Zusammenleben in einer globalen Welt.“

Besonders dankbar sind wir der E.ON AG für ihre großzügige Unterstützung, uns die Ausstellung in ihrer Konzernzentrale zu ermöglichen. Dank haben aber auch die vielen ehrenamtlichen Helfer des Freundeskreises Düsseldorf unter der Leitung von Ulf Doepner verdient, ohne deren Einsatz die Ausstellung nicht hätte stattfinden können!

17 Kommentare zu “Warum braucht die Republik ein Schloss?

  1. Ich hoffe, dass der Schloßherr in nicht allzu ferner Zukunft, ebenfalls folgen wird.
    Auch wenn es rein repräsentativ ist.
    Frei nach dem Motto, „Zurück in die Zukunft “ 😉

  2. ich glaube nicht, daß es im Humboldt-Forum eines Hohenzollern bedarf, auch nicht als repräsentatives Staatsoberhaupt. Wir haben eine Demokratie, die trotz aller Mängel recht gut finktioniert, also lassen wir es dabei…

  3. Das es gut funktioniert denke ich auch.
    Allerdings finde ich, dass ein Monarch eine wesentlich besserer und konstanter Repräsentant wäre als ein stetig wechselnder Bundespräsident.
    Und zur Zeit haben wir das Glück mit Prinz Georg Friedrich einen ausgesprochen besonnen, klugen und vorzeigbaren Hohenzollern Chef zu haben.
    Meinen Segen hat er jedenfalls.

  4. Naja eine parlamentarische Monarchie nach britischem Vorbild mit einem Kaiser als Staatsoberhaupt ist mir sicherlich lieber als einen Gaukler im Bellevue. Und ja, wir brauchen das Schloss aus dem Grunde, um unser kulturelles Erbe wieder herzustellen, welches von den Alliierten und Sowjets schonungslos vernichtet wurde…. Ebenso hätte man die Frage stellen können, ob man die Dresdner Frauenkirche braucht…. Hier geht es einfach nur darum unser Land wieder so herzustellen, als ob kein Krieg stattgefunden hätte! Und ja, genau das ist es in meinen Augen und das find ich super!

  5. Eher als einen Gaukler im Bellevue! Einen Präsident, der sich zu sehr in den politischen Alltag einmischt! Er sollte lieber Predigten abhalten und unser Land ebenso wie unser VOLK repräsentieren… Und genau daran hapert es gewaltig

  6. einen mißliebigen Präsidenten wird man mit demokratischen Mitteln wieder los, einen Monarchen muß man umbringen oder ins Exil schicken, einen Präsidenten kann man auswählen, einen Monarchen nicht – mir ist der demokratische Weg lieber!

  7. Kaiser Wilhelm hat nur als Kaiser abgedankt, nicht als König von Preussen. Es sollte das Königreich Preussen mit Regierungsitz im Berliner Schloss wieder hergestellt werden. ( Natürlich nur ein repräsentative Monarchie wie in Schweden oder Dänemark )

  8. Hallo Christian Paschen mal zu Demokratie ich sehe das so das in einer Demokratie die Mehrheit des Volkes entscheidet zu mindestens bei zukünftigen Vorhaben und nicht irgendwelche ……. die nur noch als Geschäftsführer anstatt als Volksvertreter fungieren. Oder wie stehst Du als Jurist dazu das Deutschland nur eine Firma ist und kein legitimer Staat?

  9. Denke ein Monarch ist günstiger.Als das ganze Heer von Monarchen das wir mit unseren Steuern unterhalten.Und Kaiser Wilhelm sagte bevor er ins Exil nach Holland ging Deutschland ist als Demokratie nicht zu führen. Tja vielleicht hatte er recht.

  10. Man sollte es wieder errichten. Leider haben wir 2001(1701) verpasst…… Die Zusammenlegung von Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern könnte ein erster Schritt sein. ( Würde auch enorme Verwaltungskosten einsparen. ) Später sollte das Gebiet um Nord-Ostpreussen ergänzt werden. ( In guter Kooperation mir Russland )

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