„Wie Experten Fehler beim Bau der Barockfassade verhindern wollen“

19.01.2017  Berliner Zeitung

 

Bernd Wolfgang Lindemann schaut dem Steinbildhauer kritisch über die Schulter. Dann zückt der Professor für Kunstgeschichte einen Bleistift und malt ein paar Striche auf den Sandstein, den der Bildhauer gerade bearbeitet. Hier muss noch nachgebessert werden.

Von Ulrich Paul

Lindemann, 65 Jahre alt, ist Mitglied der elfköpfigen Expertenkommission, die die Rekonstruktion des Berliner Schlosses begleitet. Heute ist er in der Schlossbauhütte im Einsatz. Dort entstehen die Modelle für die Barockfassade sowie einzelne Schmuckelemente aus Sandstein. „Wir haben die gesamte Entstehung der Fassade begleitet“, sagt Lindemann, der bis zu seiner Pensionierung im vergangenen Jahr Direktor der Gemäldegalerie sowie der Skulpturensammlung der staatlichen Museen war.

Rund 3 000 einzelne Schmuckelemente werden für die Rekonstruktion der Barockfassade benötigt. Dazu gehören tonnenschwere Einzelstücke wie die Figuren an den Portalen sowie Adler, die Fensterdächer schmücken, aber auch kleinere Elemente in Form von Widderköpfen und Lorbeergirlanden. Nur die besonderen Stücke werden in der Schlossbauhütte angefertigt. Das Gros entsteht bei privaten Natursteinfirmen, die die Aufträge ergattert haben. Die Schlossbauhütte stellt den Firmen aber die Modelle und Prototypen zur Verfügung, damit eine einheitliche Qualität erreicht wird.

Der Roboter hilft

Ein Großteil der historischen Fassaden sei schon fertiggestellt worden, sagt Bertold Just, Leiter der Schlossbauhütte. Die Steinbildhauer haben sich bei ihrer Arbeit auf alte Fotos, Filmschnipsel und erhaltene Überreste des Schlosses gestützt. „Die Schmuckelemente werden im ersten Schritt in Ton modelliert. Dann wird von dem Modell mit Hilfe von Silikon eine Negativform gefertigt, aus der schließlich ein Gipsmodell hergestellt wird“, beschreibt Just das Vorgehen.

Im sogenannten Punktierverfahren fertigen die Bildhauer dann mit Hilfe des Gipsmodells das Sandsteinelement. Hierbei hat der Bildhauer auf der einen Seite den Sandstein, auf der anderen Seite das Gipsmodell. Einzelne Punkte des Modells überträgt er mit Hilfe eines mechanischen Kopiergeräts auf den Stein-Rohling und bearbeitet diesen mit dem Meißel, bis er die Form des Modells annimmt. Die Experten verfolgen die Rekonstruktion genau.

Der 53-jährige Just, Stuckateurmeister und Steinbildhauer, hat in den 80er-Jahren viele historische Gebäude im Ostteil restauriert und leitete ab 2000 die Kunstformerei der Staatlichen Museen. 2011 fragte ihn der damalige Schlossbau-Manager Manfred Rettig, ob er noch mal was anderes machen würde. Er wollte, und Just wurde so Chef der Schlossbauhütte. Sie ist in einer ehemaligen Halle der britischen Streitkräfte in Spandau untergebracht.

Sandstein aus Sachsen und Schlesien

„Wir haben ein ziemlich dichtes Kontrollnetz“, sagt Just. Zusammen mit den Mitgliedern der Expertenkommission fährt er regelmäßig zu den Firmen, die den Zuschlag für den Bau der Barockfassaden erhalten haben, um ihre Arbeit zu überprüfen. Wie wichtig das ist, zeigte sich bei einer Firma, die sechs Adler liefern sollte. „Wir kamen dort in der Werkstatt an und sahen, dass die Adler nicht den historischen Vorbildern entsprachen“, berichtet Just. „Sie sahen anders aus als die Modelle, die wir ihnen geliefert hatten.“ Die Adler wurden nicht eingebaut, stattdessen holten Just und Lindemann den künstlerischen Leiter der Werkstatt für drei Monate nach Berlin, um ihm zu zeigen, worauf es ankommt. Mit Erfolg. „Danach kamen wirklich prächtige Adler von dort“, erinnert sich Just.

Während im frühen 18. Jahrhundert Hunderte Steinbildhauer damit beschäftigt waren, die Sandsteine für die Barockfassaden zu bearbeiten, werden heute deutlich weniger Fachkräfte benötigt. Grund: Einen Großteil der Arbeit übernehmen Roboter. „Das spart Zeit und Geld“, sagt Lindemann. Die Gipsmodelle werden bei der Bearbeitung durch Roboter zunächst eingescannt. Der Roboter fräst anschließend aus dem Sandsteinblock einen Großteil des Materials heraus. Der Steinbildhauer muss dann die Feinarbeit machen. Zu viel dürfen die Roboter aber nicht wegfräsen. „Wenn die Maschine zu scharf eingestellt ist, tun sich die Künstler schwer, weil sie dann nicht genügend Masse zum Bearbeiten haben“, sagt Lindemann. Klar ist allerdings: Von der Materialmenge erledigt der Roboter die meiste Arbeit.

Wie beim Bau des Barock-Schlosses im frühen 18. Jahrhundert kommt der Sandstein überwiegend aus Sachsen und Schlesien. Dennoch sind Farbunterschiede nicht zu vermeiden. „Steine sind nun mal ein Naturmaterial“, sagt Lindemann. Die Expertenkommission hatte zwar vorgeschlagen, das Schloss mit seinen Sandsteinskulpturen mit einer ins Weiße gehenden Schlämme einzufärben, konnte sich aber nicht durchsetzen. Der Anstrich hätte nämlich alle zwei bis drei Jahre wiederholt werden müssen. So wird es bei der Eröffnung manche Bereiche der Fassade geben, die farblich gut harmonieren, bei anderen wird es dagegen deutlichere Tönungsunterschiede geben, sagt Lindemann. „Aber das wird sich von Jahr zu Jahr nivellieren.“

500 Löwenköpfe

Worauf die Qualitätskontrolleure besonders achten: Dass es keine hässlichen Stellen im Stein gibt. „Da gibt es hin und wieder den Effekt, dass die Bildhauer bei der Bearbeitung des Steins feststellen, dass an einer Stelle eine Muschel enthalten ist“, sagt Lindemann. Manchmal stoßen sie auch auf Eisen, der dann anfange zu rosten. „Das ist wie Karies im Zahn“, sagt Lindemann. „Dann ist da plötzlich ein Loch.“ Die Steinbildhauer würden in solcher Situation das machen, was sie seit alters her immer machen: Das schadhafte Stück aussägen und durch ein neues quadratisches oder rechteckiges Teil ersetzen – Vierung nennt sich das. Dann wird dieses Stück bildhauerisch so bearbeitet, dass es zu dem Übrigen passt.

„Wir begleiten die Künstler bis hin zu den Feinarbeiten am Gebäude selber“, sagt Lindemann. Nicht immer kommt der Rat der Experten gut an. „Da gibt es Künstler, die sind außerordentlich begierig, sich mit uns zu unterhalten“, so der Experte. „Und dann gibt es andere, bei denen der Eigensinn bis zur Halsstarrigkeit gehen kann.“ Namen und Objekte werde er selbstverständlich nicht nennen.

Damit bei der Rekonstruktion kein monotones Bild entsteht, werden kleine Unterschiede bei der Gestaltung von vornherein eingeplant. Freilich auf historischer Grundlage. „Wir haben beispielsweise an die 500 Löwenköpfe, die in jeder Bauphase des Schlosses unterschiedlich interpretiert worden sind“, sagt Bertold Just. Deswegen entstehen nun auch beim Wiederaufbau verschiedene Löwenköpfe – sieben Typen werden es insgesamt sein. „Gerade im Schlüterhof haben wir mitunter extreme Fratzen“, so Just. Wer später mit dem Feldstecher auf die Fassade des Schlosses schaue, werde von Fassadenabschnitt zu Fassadenabschnitt unterschiedliche Löwenköpfe entdecken.

König statt Bundestag

Einen Vorschlag haben die Experten nicht aufgegriffen. Nämlich den, eine Inschrift zu ändern, in der die Rede davon ist, dass der König das Schloss erbauen ließ. Es gab von interessierter Seite den Vorschlag, darauf hinzuweisen, dass doch der Bundestag den Wiederaufbau beschlossen habe. Ohne Erfolg. „Da haben wir gesagt, nein, da muss buchstabengetreu die alte Inschrift rein“, sagt Lindemann.

Während Kritiker die Schloss-Rekonstruktion schon mal als „Fälschung“ verspotten, sieht Kunsthistoriker Lindemann in dem Wiederaufbau kein Problem. „Man muss die Schlossfassade zusammen mit der Stadtgestalt sehen“, argumentiert er. Wenn bei einem alten Gemälde das Gesicht weg sei, entscheide man sich dafür, den Kopf zu ergänzen, um das Bild wieder ausstellen zu können. „Für mich ist der Wiederaufbau des Schlosses nichts anderes als eine Retusche im Berliner Stadtgesicht“, so Lindemann.

So sehr sich die Steinbildhauer heute um eine detailgetreue Rekonstruktion der Schlossfassaden bemühen, müsse allerdings klar sein, dass sie Künstler des 21. Jahrhunderts seien, die sich an die Kunst des 18. Jahrhunderts annähern, sagt Lindemann. Da bleibe eine gewisse Distanz. „Spannend wird sein, wie die Leute in 100 Jahren den Bau beurteilen.“ Dann nämlich werde man merken, wie stark die Kunst des 21. Jahrhunderts den Bau geprägt habe. Es sei heute so, dass Kopien von alten Gemälden aus dem 19. Jahrhundert viel eher als Kopien zu erkennen seien als im 19. Jahrhundert. „Denn die Zeitgenossen blenden ihre zeitgenössische Sicht aus“, sagt Lindemann. Es wäre daher vermessen zu sagen, die rekonstruierten Fassaden seien zu 100 Prozent Barock. „Aber im Gesamtbild haut es hin“, verspricht Lindemann. Mehr noch. „Ich bin überzeugt: Wenn die Baugerüste fallen, werden wir sagen, besser geht es nicht.“

 

Quelle: Berliner Zeitung, 19.01.2017

 

 

 

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