„Nachholender Klassenkampf“

17.08.2017  Die Zeit

Die Debatte um das Berliner Humboldt Forum lichtet sich.

Von Jens Jessen

Mit der Unschuld des Neuberufenen hat sich der Berliner Kultursenator Klaus Lederer, seit 2016 für die Linkspartei Mitglied der rot-rot-grünen Stadtregierung, jüngst in die Debatte um das Humboldt Forum eingeschaltet. Wenn die Unterbringung der außereuropäischen Sammlungen in der Stadtschlossrekonstruktion nicht zum „Desaster“ werden solle, müsse alles neu überdacht werden – in seinen Worten: „Wenn wir wollen, dass es kein Völkerkundemuseum alter Schule wird, dann brauchen wir Formen, die den in der Schlosskopie als Hülle angelegten Widerspruch nicht zum Desaster gereichen lassen, sondern produktiv machen.“

Willkommen im Club, möchte man ihm zurufen. Über die Möglichkeiten, in der Schlossattrappe irgendetwas irgendwie produktiv zu machen, wird seit mehr als einem Jahrzehnt diskutiert, trotz allen Scharfsinns bisher ohne widerspruchsfreies Ergebnis. Indes handelt es sich um ein Projekt des Bundes, das der Berliner Lokalpolitik weitgehend entzogen ist, womit auch die alternative Idee, statt eines Museums die Zentral- und Landesbibliothek dort unterzubringen, stets obsolet war (noch so eine alte Kamelle, die von Lederer abermals zum Lutschen angeboten wird).

Aber dies nur nebenbei. Das Interessante und unendlich Deprimierende des Einwurfs, der so tut, als könnte man die Uhr noch einmal auf null stellen, besteht in der ideologischen Verdachtsumkehr, die in den letzten Jahren stattgefunden hat. Ursprünglich war die Präsentation außereuropäischer Kulturzeugnisse dazu gedacht, den Argwohn zu widerlegen, mit dem Hohenzollernschloss sollten preußische (pfui Teufel!) Traditionen gefeiert werden. Jetzt hat sich die Argumentation gedreht. In der neueren Perspektive taugen die Zeugnisse kolonialen Sammeleifers nicht mehr zur Entgiftung, sondern es wird im Gegenteil eine neuerliche koloniale Beherrschungsgeste unterstellt, die darin besteht, das fremden Völkern Geraubte im Gehäuse der Räuber auszustellen. Es ist wie im Mühlespiel, man kann das Argumentationssteinchen zwischen den Positionen hin und her schieben und hat jedes Mal einen Punkt gemacht. Wird Preußisches im Preußenschloss gezeigt, ist es reaktionär; wird Außereuropäisches gezeigt, noch reaktionärer.

Man sieht daran: Es geht nicht um den Inhalt oder darum, wie er präsentiert wird. Es geht um das „vordemokratische Gebäude“ (Klaus Lederer) und darum, was dieses repräsentiert. Für den Kultursenator sind es „300 Jahre“ (sic!) „der deutschen Herrenrassentümelei“. Man sollte die verblüffende Großzügigkeit der Datierung nicht als Polemik oder Unbildung abtun. Gewiss ist der Herrenmenschengedanke deutlich jüngeren Ursprungs (um gute 150 Jahre), auch gab es deutschen Kolonialismus so lange nicht, einmal abgesehen davon, dass auch ein Deutschland im chauvinistischen Sinne dem Heiligen Römischen Reich unbekannt war. Das deutsche 18. Jahrhundert Herders und Goethes entdeckte die Weltkulturen, Weltsprachen und ihre prinzipielle Gleichrangigkeit und begründete gerade damit das ethnologische Interesse. Der Umschlag ins Imperialistische ereignete sich erst, als Preußen im Wilhelminismus schon auf- und untergegangen war.

Aber auch dies nur nebenbei; Schwamm drüber. Wir wollen Lederer nicht absichtlich missverstehen. Was er ja nur ausdrücken will, ist seine Ablehnung aller Vergangenheiten, die den Idealen der Gegenwart, vor allem seinen eigenen egalitären Idealen, zuwiderlaufen. Alle historisch überkommenen Theater, Opern, Museen sind ihm zunächst nur „soziale Hürden“, zumal die Staatstheater, sagte er im selben Interview mit der Stuttgarter Zeitung, seien „einstmals als feudale Staatssymbole entstanden“. An Stätten der Aufklärung und bürgerlicher Emanzipation glaubt er schon gar nicht, das Bürgertum habe sich dort nur mehr „vom Proletariat, dem Pöbel unterscheiden“ wollen.

Damit ist die Katze endlich aus dem Sack. Spät hat sich der Berliner Kultursenator in die Debatte eingemischt, aber mit kindlicher Unschuld für Klarheit gesorgt. Es steckt kein kompliziertes Gift in der Debatte um Schloss und Humboldt Forum. Es ist bloß Ressentiment – historisch nachholender Klassenkampf.

 

Quelle: Die Zeit, 17.08.2017

 

 

 

 

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