„Jetzt üben sie erst einmal“

12.11.2016   Neue Zürcher Zeitung

Schluss mit den Konzeptdebatten: Drei Jahre vor seiner Eröffnung zeigt Berlins Humboldt-Forum, wie Ausstellungen aussehen könnten, die im Geiste Humboldts das Weltwissen zum Welterlebnis machen.

Von Joachim Günter

Das Projekt war verrückt, und er wusste es. «Ich habe den tollen Einfall», schrieb Alexander von Humboldt, «die ganze materielle Welt, alles, was wir heute von den Erscheinungen der Himmelsräume und des Erdenlebens, von den Nebelsternen bis zur Geografie der Moose auf den Granitfelsen, wissen, alles in einem Werke darzustellen». Es ging dem Autor keineswegs bloss um eine Auflistung physischer Objekte: «Jede grosse und wichtige Idee, die irgendwo aufgeglimmt, muss neben den Tatsachen hier verzeichnet sein.» Heute steht dieser kühne Anspruch erneut Modell: fürs Humboldt-Forum, die multifunktionale Kulturarena in der Berliner Schlossattrappe. Man muss sich klarmachen, was das heisst.

Weltbühne mit Opernhaus-Etat

Erstmals seit der Berufung von Neil MacGregor, dem zum Spiritus Rector erkorenen britischen Museumsmann und Kommunikator, hat sich kürzlich die Gründungsintendanz des Forums offiziell und im Beisein der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur, Monika Grütters, zu ihren Plänen geäussert. Anlass war die Eröffnung einer Ausstellungsreihe in der temporären Humboldt-Box vor dem Schloss. MacGregor spricht von einer «Probebühne». Muss der Schotte üben, weil er noch nicht weiss, wie das Humboldt-Forum in drei Jahren seine Themen setzen und präsentieren soll?

Wer heute im Geiste Alexander von Humboldts das Weltwissen zum Welterlebnis machen will, nimmt sich Ungeheures vor: Er muss die Natur- mit der Kulturgeschichte vereinen, das Geistige so wichtig nehmen wie das Materielle, die Welt in Quer- und Längsschnitten darbieten, diachron und synchron. Er muss die «Verflechtung der Weltkulturen» (MacGregor) in ihrer aktuellen Präsenz und ihrer Geschichte nachzeichnen. Im interdisziplinären Zugriff auf Sammlungsbestände werden die Kontexte der Objekte so bedeutsam wie diese selbst.

Ein Universum von Bezügen wäre aufzufächern. Das geht nicht auf einmal, sondern nur mit immer neuen Inszenierungen. Monika Grütters stellt dem Humboldt-Forum denn auch ein Budget «in der Grössenordnung eines komfortablen Opernhauses» in Aussicht. Bestätigt wurde: Der Schlossbau hält sich weiter brav im Kostenrahmen von 590 Millionen Euro. An 2019 als Eröffnungsjahr wird nicht gerüttelt. Und weil sich gezeigt hat, dass Museen mehr von Bürgern statt hauptsächlich von Touristen genutzt werden, wenn sie keinen Eintritt kosten, soll der Besuch des Humboldt-Forums möglichst unentgeltlich sein.

Noch ist das ein frommer und politisch gefährlicher Wunsch, der eine Zweiklassensituation schüfe, denn die öffentlichen Berliner Museen kosten normalerweise Eintritt. Immerhin entspräche er dem grossen Vorbild: Alexander von Humboldts «Kosmos»-Vorlesungen in der Singakademie (heute Maxim-Gorki-Theater), die 1827/28 Männer und Frauen magnetisch anzogen und aus denen später ein fünfbändiges Werk wurde, waren gratis.

Basislager und Weltreise

Sicher ganz ohne böse Absicht bekräftigt das Forum den Kursverlust der Büchergelehrsamkeit. Bibliotheken soll es unter seinem Dach nicht geben, nicht einmal auf der Fläche, welche die Humboldt-Universität bespielt. So soll die für den ersten Stock geplante Kunstbibliothek einer «Humboldt-Akademie» Platz machen. Zuvor schon waren die Zentral- und die Landesbibliothek zugunsten einer Berlin-Ausstellung verdrängt worden.

Der hochtönende Name «Humboldt-Akademie» wird ein Besucherzentrum schmücken, wo einem erklärt wird, wer die Brüder Humboldt waren und was es mit dem Sammeln und der Bildung als Formen der Weltaneignung auf sich hat. Nach Absolvierung dieses «Basislagers» können Besucher dann die «Weltreise» in die ethnologischen und asiatischen Sammlungen antreten, die von Dahlem ins Forum übersiedeln. Was nach dem Wegzug des Völkerkunde- und des Kunstmuseums aus dem von Verödung bedrohten Museumsstandort Dahlem wird, steht noch völlig dahin.

Die erwähnte Ausstellungsreihe in der Humboldt-Box beginnt mit der Schau «Extreme! Natur und Kultur am Humboldtstrom». Alexander von Humboldt hat während seiner Amerikareise 1799 bis 1804, die ihn auch in die Küstenregion Perus brachte, die kalte Meeresströmung vermessen und ihren polaren Ursprung nachgewiesen. Die Schau nimmt auf seine Reise Bezug, baut naturkundliche und archäologische Exponate ein, bringt so in Vitrinen die Berliner Sammlungen zur Geltung und schlägt einen multimedialen Bogen über die kulturprägende Kraft des Klimaphänomens «El Niño» bis zur aktuellen Umweltfrage, der Vermüllung der Meere.

Anschaulich unverbindlich

Mit der Ausstellungsreihe retten sich MacGregor und seine beiden Co-Intendanten, der Kunsthistoriker Horst Bredekamp und Hermann Parzinger von der Stiftung Preussischer Kulturbesitz, in die Anschaulichkeit. Den drängenden Rufen nach einem schlüssigen Gesamtkonzept hat das Trio nun ein «Der Worte sind genug gewechselt, wir lassen euch endlich Taten sehen» entgegengesetzt. Verbindlich für die spätere Arbeit des Forums sind diese Probeläufe natürlich trotzdem nicht.

 

Quelle: Neue Zürcher Zeitung, 11.11.2016

 

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert