„Der Abschied von Manfred Rettig ist keine Tragödie“

25.01.2016  Berliner Zeitung

Der plötzliche Rücktritt des Chefs der Stiftung Berliner Schloss ist ein Glücksfall. Jetzt könnten endlich einige sinnvolle und nötige Änderungen am Konzept des Humboldt-Forum vorgenommen werden. Hoffentlich wird die Chance genutzt.

Ein Kommentar von Nikolaus Bernau

Hat mit dem abrupten Abgang des bisherigen Chefs der Stiftung Berliner Schloss eine Tragödie begonnen? Wer sich die Reaktionen auf Manfred Rettigs Abschied ansieht, könnte das Gefühl bekommen, seine Entscheidung sei für das Schloss-Projekt so verheerend wie die Pannen beim Berlin-Brandenburger Flughafendesaster oder das Chaos bei der Hamburger Elbphilharmonie.

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Eva Högl befürchtet „Verzögerungen“ und „Verteuerungen“. Rettig wiederum betont, dass er „ein Zeichen“ setzen wolle: Die Nutzer sollten sich hüten, das Projekt noch irgendwie zu verändern. Und in den betroffenen Institutionen ist ganz offen von seiner „Fahnenflucht“ die Rede, zumal unmittelbar nach der Rücktrittsankündigung öffentlich wurde, dass schon jetzt die Notfallfonds des Bauetats angegriffen werden mussten – die Kosten also über die bisherigen Annahmen gestiegen sind.

Politische Argumente

Aber „Verzögerungen“ bei einem solchen Großprojekt können sehr viele Gründe haben. Sie reichen von Fehlplanung über schiere Inkompetenz, neue Anforderungen der Nutzer, steigende Baukosten bis zu durchaus sinnvollen Umplanungen, die die Funktionen verbessern und damit Geld sparen. Die Warnung Högls oder Rettigs vor „Verzögerung“ ist also ein politisches Argument. Es soll die längst überfällige Debatte verhindern, ob das Projekt so, wie es nun als Rohbau vor uns steht, wirklich ökonomisch und funktional dem entspricht, was notwendig wäre. Bisher nämlich wurden die Anforderungen der Staatlichen Museen, der Bibliotheken oder der Stadt Berlin systematisch von Rettig zurückgedrängt. Relevant waren einzig die für die weitere Öffentlichkeit und damit die Politiker wichtigen Themen Termin- und Etateinhaltung sowie der Nachbau der barocken Fassaden. Um dafür die Gelder einzusparen, zwang Rettig die Nutzer und den Architekten etwa, den Spreeflügel viel schmaler zu machen.

Es sei auch daran erinnert: Der Finanzplan für das Humboldt-Forum hat nichts, überhaupt gar nichts mit dem realen Projekt als Museums-, Bibliotheks- und Veranstaltungshaus zu tun. Die derzeit heiliggesprochene Zahl von 590 Millionen ist ausschließlich politisch festgelegt worden: Der Bundestag wollte keine Summe beschließen, die irgendwie an eine halbe Milliarde Euro heranreicht. Also wurden 478 Millionen festgelegt. Der Schlossbauverein Wilhelm von Boddiens verpflichtet sich, Spenden von 80 Millionen Euro für die Fassadennachbauten einzusammeln.

Dazu kommen 32 Millionen von dem eigentlich eher skeptischen Land Berlin – das Projekt sollte nicht als reines Geschenk des Bundes an die Hauptstadt erscheinen.

Realistische Betrachtung ist jetzt möglich

Fachleute haben schon um 2009 angekündigt, dass ein so großer Bau mit diesen Funktionen realistisch etwa 750 Millionen Euro kosten wird. Aber so eine Zahl war damals politisch nicht durchsetzbar. Jetzt, nach dem Rücktritt von Rettig, ist endlich eine realistische Betrachtung möglich, auch deswegen, weil sich die Machtverhältnisse grundlegend geändert haben: Bisher regierte Rettig als Alleinherrscher über das Projekt, agierte mit dem Termin- und Kostenargument.

Jetzt aber ist durch die Berufung des unabhängigen Neil MacGregor und seiner offensichtlichen Unterstützung durch Monika Grütters erstmals die Nutzerseite so stark im Planungsprozess geworden, wie sie es immer hätte sein sollen. Sicher kann es keinen grundlegenden Neuanfang geben. Dazu ist zu viel Beton gegossen worden. Aber es können Korrekturen im Detail stattfinden: der Herausriss der inzwischen unsinnigen Bibliothekseinbauten, die Neuverteilung von Ausstellungsräumen etwa.

Sicher muss ein bautechnisch fähiger Nachfolger für Rettig gefunden werden, der politisch das Gleichgewicht zu den Nutzern herstellen kann. Gutes Bauen braucht immer starke Bauherren und starke Bauleute. Doch die Sturheit, auf einem rein politisch festgelegten Kosten- und Zeitrahmen zu bestehen, der keinen sachlichen Sinn hat, die sollten wir uns nicht mehr leisten.

 

Quelle: Berliner Zeitung, 25.01.2016

 

 

 

Ein Kommentar zu “„Der Abschied von Manfred Rettig ist keine Tragödie“

  1. Das sehe ich anders, Herr Bernau
    Ihren Beitrag lese
    ich so: Hurra, endlich hat der Nörgler und Bremser Manfred Rettig resigniert, jetzt
    haben Politiker und kreative Gestalter freie Bahn für Korrekturen und neue
    Ideen. Damit sagen Sie:
    1. Der Bundestag hätte unverantwortlich ein taktisch
    zu niedrig angesetztes Fantasie-Budget verabschiedet, also das Projekt wissentlich
    mit einer Lüge freigegeben. Kritisieren Sie also die politischen Auftraggeber –
    nicht den Projektmanager.
    2. Dass ein solches
    Projekt realistisch auf 750 Mio. € geschätzt wird, begründen Sie lediglich mit
    dem Recht zu Neuanfängen, zum Herausriss
    von inzwischen unsinnigen Wänden und Zwischendecken, Neuverteilung von Räumen
    usw. Kritisieren Sie also Entscheider und undisziplinierte Wünsche ohne
    Rücksicht auf technische, terminliche und finanzielle Folgen – nicht den
    Projektmanager.
    3. Sie werfen
    Manfred Rettig vor, dass er Anforderungen zurückgedrängt und das Raumprogramm
    im Spreeflügel gekürzt habe, um Geld „einzusparen“. Herrn Rettig kritisieren
    Sie als „Alleinherrscher“. Sie verwechseln damit ein Motiv, Geld „einzusparen“, also unter
    Budget zu bleiben mit der Pflicht des Projektmanagers, ein geplantes Budget einzuhalten.
    4. Professionelles
    Projektmanagers bedeutet: Entsprechend den definierten Zielen und Vorgaben des
    Auftraggebers auf der Grundlage einer belastbaren Planung nach „design freeze“ Qualität,
    Zeit und Kosten möglichst punktgenau einzuhalten. Genau das hat er getan.
    5. Das Projekt
    begründete sich zuerst aus Zielen der städtebaulichen und architektonischen Stadt­reparatur.
    Ein kluger Intendant, MacGregor, wird diese Rahmenbedingungen des Schlossbaukörpers
    respektieren und auf der Grundlage der Stella-Planung ein gutes und flexibles
    Austellungskonzept entwickeln.
    6. Statt in
    öffentlichen Großvorhaben Budget-Trickserei, kreative Umplanung und undisziplinierte
    Konzept­optimierung zu rechtfertigen, wäre
    zu wünschen, dass viel mehr Rettigs für politische Transparenz, seriöse Planung und disziplinierte Abwicklung sorgen
    würden.
    Arn Praetorius
    31.1.2016

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert