„Das Schloss – Bauwerk der Jahrhunderte“

21.11.2016  Berliner Zeitung

Von Maritta Tkalec

Eisenzahns Wohnturm an der Spree steht am Anfang der Schlossgeschichte und am Ende der freien Bürger- und Hansestadt. Von seiner Residenz Tangermünde aushatte Hohenzollern-Kurfürst Friedrich II., genannt Eisenzahn, das Potenzial der Doppelstadt Berlin/Cölln erkannt.

Von dort aus würde er seine Macht ausbauen können. 1443 setzte er den Bau der Zwing-Cölln in Gang, ideal gelegen, um Handel und Verkehr über die Lange Brücke zwischen Berlin und Cölln zu kontrollieren. Das Berliner Schloss entstand aus strategischem Kalkül.

Als die schwer zerstrittenen Bürger erkannten, dass der Fürst ihre städtische Autonomie und Handelsprivilegien bedrohte, fluteten sie 1448 die Baugrube. Es half nichts. Von 1451 an entfaltete das kurfürstliche Schloss mit starker Militärbesatzung seine Wirkung.

Die erfolgreiche Kaufleutestadt verlor ihre Freiheit, etwa 250 Jahre nach ihrer Gründung. Das ist von heute aus betrachtet fast ein Drittel der Stadtgeschichte – ein vergessenes Drittel, ausgerechnet die obrigkeitsfreie Zeit.

Das Schloss ist nicht die Stadt

Daher zerlegen die Autoren des soeben erschienen Buches „Das Berliner Schloss – Geschichte und Archäologie“ gleich in der Einführung besonders genüsslich die oft kolportierte Legende, „Das Schloss ist die Stadt“.

Michael Malliaris, der die Ausgrabungen 2008 bis 2012 im Schlossareal geleitet hat, und Landesarchäologe Matthias Wemhoff zeichnen aus den erst jüngst erlangten Erkenntnissen heraus zunächst ein Bild jener ersten Epoche und breiten dann die folgenden beiden aus:

250 Jahre des immer weiter wachsenden Renaissance-Schlosses, Stück für Stück, Anbau um Anbau –Türme, fürstliche Wohnungen, Säle, Kapelle, Kloster und Domstift. Dann 250 Jahre Barockschloss. Eine solche Übersicht über die Schloss-Jahrhunderte gab es bislang nicht. Wie sehr sie gefehlt hat, bemerkt man buchstäblich bei der Lektüre auf jeder Seite.

Wie also fing es an? Neben Cölln und Berlin entstand bald um die Marienkirche herum Art eine dritte Stadt. Sie verschmolz rasch mit den älteren; die Bürger bauten genau zwischen Marien- und Nikolaikirche ihr Rathaus. So wurde die Spreequerung über die Lange Brücke, heute Rathausbrücke, vorbei am Rathaus hin zum Oderberger Tor (heute Alexanderplatz) zur zweiten Hauptverkehrsachse der Stadt neben dem Mühlendamm. Wie schon erwähnt, sollte diese Achse entscheidend für die Schlossgründung werden.

Zwei Klöster gaben den Bürgern Halt im mittelalterlichen Gemeinwesen – erst die Franziskaner in Berlin, dann die Dominikaner in Cölln. Wo das Dominikaner-Kloster stand, auf der heutigen Straßenfläche zwischen DDR-Staatsratsgebäude und Schlossneubau, kamen die wichtigsten Grabungsfunde ans Licht.

Sie halfen, die Entstehungszeit der Stadt zu präzisieren. Wir lernen nebenher: Die frühen Bürger errichteten ihre Privathäuser nicht als Holz-Fachwerk, sondern aus solidem Backstein – quasi aus der Erde des Landes. Rotes Rathaus und Schinkel-Bauten nehmen die Tradition auf, selbst die DDR-Rathauspassagen zitieren die geschichts- und ortsbezogenen Elemente.

Zwischen erstem Schlossflügel und Kloster, später Kanonikerstift dann Hofkirche, bildete sich der Schlossplatz heraus. Vom Oderberger Tor führte die Straße über die Lange Brücke auf diesen Platz zu; von der anderen Seite mündete die Breite Straße ein. Ein Dreh- und Angelpunkt der Doppelstadt entstand.

Wie vom Donner gerührt

Wo sich das Schloss den Bürgerstädten im Osten und Süden zuwandte, standen die ältesten Schlossgebäude. Doch ausgerechnet hier hat der Architekt des Schloss-Neubaus kapituliert und die Vielfalt der Bebauung, die über Jahrhunderte entstanden war, zu einer Betonwand nivelliert, mit Einverständnis der politisch Verantwortlichen. Wer das neue Buch gelesen hat, steht nicht nur, wie bisher, irritiert vor der abweisenden Ostwand, sondern entsetzt, wie vom Donner gerührt.

Es ist ein großes Verdienst dieses Buches, die Bürger, Baumeister und Bauherren vergangener Zeit lebendig und ihre Lebensweise vorstellbar werden zu lassen – ausgestattet mit wunderbar erhellenden Fotos, Stichen, Gemälden und vor allem Karten der Bebauung in den verschiedenen Epochen.

Es setzt den vielen, auch zweckgetriebenen Märchen über die Entwicklung Berlins ein wissenschaftlich fundiertes Bild entgegen. Schicht um Schicht können Alt- wie Neuberliner erblicken, woher die Stadt kommt, ihre Wurzeln erkennen. Jetzt kann jeder viel besser wissen, worum es bei der Gestaltung des Berliner Stadtkerns geht. Zudem ist das Buch nicht nur gut gegliedert, sondern auch noch gut geschrieben. Sachlich, klar und leserfreundlich zugleich.

Dass es erst jetzt entstehen konnte, erklärt sich auch aus den umfangreichen Ausgrabungen vor dem Wiederaufbau des Schlosses. Eingeordnet in die jeweilige Bauperiode werden ausgewählte Objekte gesondert und ausführlich vorgestellt, sodass zum Beispiel ein schlichter Verschlussdeckel aus Stein die Geheimnisse früherer Heiztechnik verrät und Spiele etwas über die Freizeitvorlieben berichten.

Die große Drehung gen Westen

Eine Entdeckung beschert das Kapitel „Das Königsschloss auf dem Weg zur Moderne“. Nach der Krönung Friedrichs I. zum ersten König in Preußen 1701 erschienen das Berliner Schloss und sein Umfeld als zu mickrig für die neuen Ansprüche. Neben den barocken Umbauten im Innern (Schlüterhof) und Äußeren (Barockfassade, Eosanderportal) entstanden repräsentative Gebäude, und zwar erstmals im Westen: Zeughaus, Oper, Bibliothek, Hedwigskirche, Prinzenpalais, etc.

Der Dom wurde 1750 an seine heutige Stelle verlegt, der alte abgerissen – ein Bedeutungsverlust für die einst dominante Ost-Seite. Mit dem Dom zog auch die alte Grablege der Fürsten und Honoratioren um. Der alte Dom hatte dem Schlossaus- und -umbau im Wege gestanden. Diese Arbeiten dokumentiert das Buch umfangreich – geht doch die Gestalt des vor unseren Augen entstehenden Neubaus vor allem von dem aus, was in jener Zeit entstand.

Bis ins 19. Jahrhundert hinein gab es allerdings nur die hölzerne Hundebrücke Richtung Westen, hin zu den neuen Prachtbauten Unter den Linden; als 1824 endlich Schinkels steinerne Schlossbrücke stand und schließlich noch 1854 die Kuppel den Westflügel krönte, war die große Drehung des Schlosses nach Westen vollzogen. Hatte es sich zu Beginn seiner Geschichte in einer Randlage befunden, beherrschte es nunmehr die Mitte.

Die Autoren fassen diese für die Stadt zukunftsbestimmende Wende so: Das Schloss „war nicht länger in erster Linie eine Botschaft an die Bürger der Stadt, sondern sendete ein Statement aus, das innerhalb und außerhalb von Preußen wirken sollte“.

Wiederum 250 Jahre währte die dritte, die barocke Periode des Schlosses. Es wurde Zentrale des deutschen Kaiserreiches (1871 bis 1918), beherbergte Prunksäle und Behörden. Die Bürgerhäuser der Schlossfreiheit mussten 1894 dem Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal weichen.

Mit dem Ende der Monarchie gelangte das Schloss in Staatsbesitz, war Verwaltungsgebäude, und Heimat von Museen. Sein Ende war gekommen, als erst 1945 von Bomben erzeugte Feuer einen Großteil des Gebäudes niederbrannten und die DDR-Führung die Reste samt der erhaltenen Teile 1950 sprengen ließ. Sie beendete 500 Jahre Geschichte.

Der Neubau erlaubt es, daran wieder anzuknüpfen. Aber wie? Über die Gestaltung des Umfeldes wird angestrengt gestritten. Was soll stehen auf den baulich leeren, doch geschichtsvollen Flächen Marx-Engels- und Rathausforum? Wird das Schloss auch im Osten wieder ein städtisches Gegenüber bekommen oder weiter im Abseits verdämmern?

Die Autoren stellen diese Fragen und appellieren an Bürger und Politiker, beim Nachdenken und Entscheiden die vorgelegten Befunde zur Kenntnis zu nehmen. Ihr Buch sollte dabei helfen.

 

Quelle: Berliner Zeitung, 21.11.2016

 

 

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