„Bürger besichtigen Berliner Stadtschloss. Humboldtforum: Arm, aber Schloss“

14.06.2015       Der Tagesspiegel

Nostalgie und Volksfest: Zehntausende besuchten die Tage der offenen Baustelle im Humboldtforum. Erster Eindruck vom Stadtschloss: Es fehlt ein Balkon, um das Volk zu grüßen.

Von Johannes Groschupf

Martin Heinig lässt sich Zeit. Während um ihn herum alle Besucher aberhundert Bilder mit Fotoapparaten und Handys schießen, steht er in aller Seelenruhe da und zeichnet Saal und Kuppel mit dem Bleistift. Den Neubau des Berliner Schlosses hat er „von der Baugrube an“ zeichnend begleitet. Jetzt endlich kann er sich auch von innen ein Bild machen.

Doch erst mal heißt es, wie damals im Osten, geduldig Schlangestehen. Morgens um halb zehn sind die Tore noch geschlossen, längst warten einige tausend Berliner. Senioren vor allem, Bildungsbürgertum, überwiegend aus dem Ostteil der Stadt. Beige Hemden, graue Multifunktionswesten, Sandalen mit Strümpfen. Andere im Jackett mit weißem Hemd darunter, die Gattin mit goldenen Ohrringen, das sind dann eher die West-Berliner. Zwei Jugendliche, zufällig vorbeigekommen, finden den Bau auf den ersten Blick „superabstrakt“, er sehe aus wie ein Bunker mit Fenstern.

Erwartungsvolle Spannung wie bei einer Wohnungsbesichtigung in Friedrichshain. Dann darf man endlich hinein. Der erste Eindruck: Viel Platz, großzügige Räume, ein beeindruckender Innenhof, da kann man wirklich nicht meckern. Toll ist die Aussicht vom ersten Stock auf Dom und Lustgarten, das hat was. Man sollte einen Balkon anbauen, dann kann man später von hier aus das Volk grüßen.

Überall sind kleine Stände von Förderern und künftigen Nutzern eingerichtet. Das ethnologische Museum kommt aus Dahlem hierher, heute projizieren sie Bilder vom Palau-Haus und den Südseebooten an die Betonwände. Das Auswärtige Amt träumt von einer „Agora der Ideen“. An den Infoständen wird Überzeugungsarbeit geleistet. Nebenan erfährt man, wie Steinbildhauer eine Wappenkartusche rekonstruieren. Im Hof liegen Betonmodule mit Ziegelmaske.

Linkerhand Trinkbuden und Essensstände: veganes Israeli-Food, Berliner Buletten („Aus Liebe zum Hack“), Dampfschwein. Der durchdringende Geruch von Schweizer Käse breitet sich in der Mittagshitze aus. Man genehmigt sich ein kühles Bier. Im großen Saal unter der Kuppel erklingen Walzer von Strauß, das gibt diesem offenen Tag eine beschwingte, heitere Atmosphäre. Später soll noch das Stabsmusikkorps der Bundeswehr zum Platzkonzert antreten. Draußen: Kaiserwetter. Noch. Der Platzregen folgt später.

Weiter geht die Reise in Vergangenheit und Zukunft: Hier war die gründamastene Kammer von Gontard (1787), und dort das Große Treppenhaus, um 1700 nach Plänen von Andreas Schlüter gebaut. In diesem Raum soll dann der Skulpturensaal entstehen mit Figuren von Schlüter und mit Fassadenteilen, die sich erhalten haben.

Die meisten Besucher denken an den Palast der Republik

Vom Palast der Republik hat sich offenbar nichts erhalten, und doch spielt er an diesem Tag eine große Rolle. Die meisten Besucher denken gern daran zurück: Kaffeekränzchen, Jugendweihefeiern, Jubiläen. Liebeserklärungen in der Moccabar. Legendäre Siege auf der Bowlingbahn. Wunderbare Stimmung beim „Kessel Buntes“.

Auch Rechtsanwalt Dr. Strathmeier erinnert er sich gern an den Palast der Republik: „Er war wirklich ein Treffpunkt des Volkes.“ Es hat ihn, wie viele hier, sehr geschmerzt, als er abgerissen wurde. Ein anderer Besucher erinnert sich an Konzerte von James Last und Katja Ebstein im Palast der Republik, „es war der schönste Konzertsaal Berlins, nirgends war man den Künstlern so eng verbunden!“ Den jetzigen Bau findet er „monumental“. Dagegen war der Palast ja nur eine Taschenausgabe.

Martin Heinig war damals Flötist und hat mit dem Berliner Sinfonieorchester oft im Palast gespielt, zum Tag der Republik oder das Neujahrskonzert. Doch er weint „dieser Bude“ keine Träne nach. „Es war richtig, Erichs Lampenladen abzureißen.“ Das neu entstehende Humboldt-Forum findet er großartig: „Ich bin ein Fan!“

Mit seinen Zeichnungen erschließt er sich die neue Berliner Mitte. Stets versucht er das ganze Umfeld im Blick zu behalten: Der Fernsehturm gehört dazu, Dom und Lustgarten, das ehemalige Staatsratsgebäude auf der anderen Seite, natürlich die Linden mit Historischem Museum, Oper und Universität. Dieses Ensemble lässt sich beim Tag der offenen Baustelle flanierend erleben. Natürlich können nicht alle Räume betreten werden, doch die Besucher bekommen einen intensiven Eindruck von dem, was geschafft ist und was in den jeweiligen Räumen entstehen soll.

Die Stadt Berlin, mit 4000 Quadratmetern Fläche eher am Katzentisch gelandet, präsentiert sich mit einer „Ausstellung der besonderen Art“. Nachdem man sich vom Konzept der Landesbibliothek verabschiedet hat, lädt man jetzt das Berliner Publikum ein, sich „mit Vorschlägen und Erwartungen am Prozess zu beteiligen“. Da lassen sich die Herrschaften nicht lange bitten: „Mehr Beteiligung von Jugendlichen!.“ Ein anderer meckert: „Das ist Berlin: arm, aber Schloss.“ Und ein dritter Kommentar mahnt: „Ich bin jetzt 80, also beeilt euch, Leute!“ 2019 soll alles fertig sein.

 

Quelle: Der Tagesspiegel, 14.06.2015

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