Das Schloss im Bau (Teil III)

8 THESEN FÜR DEN WIEDERAUFBAU DES BERLINER STADTSCHLOSSES (1993)

Der Journalist Klaus Hartung, Berlin, schrieb schon 1993 für unsere Simulation visionäre Thesen, die ich während meiner Rede am Spendernachmittag vortrug. Viele der Zuhörer waren tief beeindruckt davon und forderten bei uns den Text an. Mit dem Abdruck hier möchten wir Sie auch Ihnen nicht vorenthalten. Wilhelm von Boddien

I. DAS STADTSCHLOSS – EIN SCHLOSS für die STADT

Für das Schloss haben sich Privatleute, Sponsoren, Parteipolitiker engagiert. Aber Bauherr kann nur sein: der Bürger Berlins. Er ist der Souverän. Nur wenn der Berliner Bürger spricht und sich für die Rekonstruktion des Schlosses engagiert, wird dieses Schloss für die Stadt entstehen. Gibt es jetzt schon diesen Bauherrn? Oder ist er nur eine Abstraktion, ein Phantom? Muss es jetzt nicht vor allem um Wohnungen, Kindergärten, Verkehrsbauten gehen? Sind die Fragen des geschichtlichen Stadtbildes, der historischen Rekonstruktion des Schlosses nicht bloßer Luxus? Eine falsche Alternative! Gegenwärtige Not darf nicht gegen zukünftige Möglichkeiten ausgespielt werden. Der Berliner lebt immer noch in einer zwiespältigen Stadt. Also ist auch der Bauherr, der künftige Souverän, voller Zwiespalt. Der Berliner lebt in einer unsicheren Gegenwart, zwischen einer unbewältigten Vergangenheit und einer übermächtigen Zukunft. Also ist auch der Bauherr, der künftige Souverän unsicher. Diese Unsicherheit kann nicht überspielt werden, aus ihr entspringt die Debatte. Ohne eine Versöhnung des Berliners mit seiner Stadt wird der Wiederaufbau des Schlosses nicht stattfinden. Aber wenn die Idee des Wiederaufbaus preisgegeben wird, wird es der Stadt schwer fallen, mit sich in Einklang zu kommen.

II. DER ORT

Die leere Fläche, die die Grundmauern des Schlosses überdeckt, ist kein bloßes Grundstück, keine Immobilie, kein abgestecktes Wettbewerbsgebiet. Dieser Ort ist der Angelpunkt zwischen der mittelalterlichen Stadt und der barocken Residenz. Es ist ein Ort der Stadtgeschichte und ihrer Vernichtung. Ein Ort, an dem Tradition und Moderne aus dem Gleichgewicht geraten sind. Ein Ort, an dem die Stadterinnerung wieder greifbar gemacht werden kann. Es ist ein Ort der imaginären Existenz des Schlosses. Hier kreuzen sich die Sichtachsen und die Vedouten. Die umliegenden Bauten, das Zeughaus, die Museen, den Dom befinden sich noch immer im Dialog mit dem Bild des Schlosses. Wenn es eine Identität des Stadt Berlin gibt, dann wird sie diesen Ort nicht aufgeben. Sie wird dort sein, entweder als genius loci oder als Gespenst.

III. DIE FASSADE

Sie ist kein steinernes Manifest der Nostalgie. Sie ist keine Reliquie für Hohenzollernbeschwörungen. Sie ist kein Pamphlet gegen die Moderne. Sie ist in erster Linie Teil eines großen architektonischen Werkes, ein Dokument der großen Baumeister Berlins. Da es die Reste der Fassade noch gibt, da ihr Figurenprogramm weitgehend vorhanden oder rekonstruierbar ist, verpflichten sie. Die Frage ist nicht, ob eine historische Idylle simuliert werden soll – sondern ob die Teile der Schlossruine endgültig in den Lapidarien der Stadt verschwinden sollen. Der Wiederaufbau der Fassade wäre zugleich eine Wiederherstellung der inneren Maßstäbe der Stadt. Ohne die Fassade verkommen die Maßstäbe zu bürokratischen Dogmen. Das Schloss definierte die Traufhöhe der Innenstadt. Die Fassade kann und wird nicht die Wiederkehr des historischen Stadtbildes versprechen. Sie wird vielmehr den Verlust, das Unwiederbringliche bewahren. Die Fassade protestiert gegen das zynische Einverständnis mit der Zerstörungsgeschichte der Stadt.

IV. DER BAU

Der Wiederaufbau rechtfertigt viele Nutzungen. Doch keine Nutzung allein rechtfertigt den Wiederaufbau.Es wird ein Raum geschaffen werden, der Widerstand leistet gegen die schematischen Nutzungen und Nutzungsmonopole in der Mitte der Stadt. Er soll ein Raum sein für kulturelle Vielfalt, benutzt von den vielfältigen Interessen einer Metropole. Er wird ein Raum sein, wo der Berliner hingeht, sich trifft, wo er feiert. Ein Foyer, ein Vestibül der Stadt. Ein Raum, in dem die Stadt empfängt und repräsentiert. Ein repräsentativer Raum, den die Stadt dem Staat, den Repräsentanten anderer Nationen und den internationalen Organisationen anbietet. Ein Raum der Weltkultur, der Konzerte, der Ausstellungen, der Konferenzen. Ein Raum der Volksbelustigungen, der Sommerabende, des Sehens und sich Sehen-Lassens in den neu erstandenen Schlosshöfen.

V. DIE DEBATTE

Die Debatte über das Schloss ist die Debatte über Berlin. Diese Debatte wird in aller Intensität geführt. Berlin ist eine Stadt mit einer ungewissen Mitte. Das Zentrum, ein unsicherer Ort, ein Ort der Verunsicherung. Eine Assemblage aus Niemandsland und Stadtbrache, aus Hauptstadtresten und gebrochenen Stadtbildern, aus Erinnerung und Vergessen, aus Leere und Inszenierung. Ein Mythos für Investoren und Metropolenträumer und zugleich ein realexistierender, zugiger, schäbiger Ort. Ein Ort an dem der horror vacui und der Sog der Leere miteinander streiten. Ein Ort, der ebenso Hochhäuserketten als auch den Abriss der spärlichen historischen Substanz suggeriert. Es würde nicht so verbissen um das Schloss gestritten werden, wenn es nicht das unglückliche Bewusstsein über die Mitte gäbe. Das vereinte Berlin, die alte, neue Hauptstadt hat neue Ansprüche gebracht. Solange Berlin geteilt war, konnte die Heimat der Kiez sein. Jetzt muss der Berliner anfangen, über die Kiezgrenzen hinauszublicken. Entweder: er eignet sich die Mitte an, oder sie wird ihm enteignet. Ohne eine große, symbolische Anstrengung wird der Berliner nie zum Bauherrn der neuen Metropole.

VI. DER VERLUST UND DIE ERINNERUNG

Das historische Berlin ist endgültig verloren. Es kommt allein darauf an wie der Verlust bewahrt wird. Der Wiederaufbau kann keine Korrektur der Kriegs- und Nachkriegsgeschichte sein. Das historische Schloss wird nicht neu erstehen. Es wird immer auf einen Kompromiss zwischen einem modernen Gebäude und dem historischen Bau hinauslaufen. Aber gerade deswegen wird das altneue Schloss die Erinnerung an den Verlust lebendig halten. Das altneue Stadtschloss widersteht mithin dem passiven Einverständnis mit der Zerstörungsgeschichte der Stadt. Es soll an die Schande der nationalsozialistischen Diktatur erinnern, die den Bombenkrieg brachte; es soll den selbstverschuldeten Wiederaufbau bewusst machen, der die Stadtgeschichte liquidierte. Auch die beste moderne Bebauung dieses Ortes könnte nur die Zerstörungsgeschichte vollenden und schließlich vergessen machen. Der Wiederaufbau des Schlosse wäre ein Mahnmal des unwiederbringlichen Verlustes – und die Erinnerung an die historischen Gründe dieses Verlustes.

VII. DIE MODERNE UND DIE GESCHICHTE

Berlin, die Stadt der Moderne, die „jungalte“ Stadt, „die immer nur wird und nie ist“ (Karl Scheffler). Stellt der Wiederaufbau des Schlosses diesen Charakter der Stadt in frage? Ein Blick auf die Neubauprojekte beantwortet diese Frage. Das Berlin von heute IST das Exerzierfeld der Moderne. Noch nie wurde der historische Kern einer Stadt so umfassend in die Hände der Weltarchitektur gelegt. Schon jetzt ist die Stadt an ihren Schlüsselstellen – Friedrichstraße, Alexanderplatz, Potsdamer Platz nicht wieder zu erkennen. Man wird die Stadtgeschichte nur noch durch den Stadtplan rekonstruieren können. Aber wir wissen: Die Moderne lebt auf, wenn sie mit der Geschichte streiten muss. Wir werden keine moderne, sondern nur eine langweilige, klotzige Mitte haben, wenn keinerlei Widerstand der Stadtgeschichte die Maßstäbe setzt. Das Schloss ist das unverzichtbare pièce de résistance, das auch die Moderne braucht.

VIII. VOM NUTZEN DES SCHLOSSES

Wem nutzt das Schloss? Dem Berliner der Zukunft. Dem Stadtbürger, dem Citoyen, dem Flaneur. Es ist ein Ort der Nicht-Preisgabe, der Bewahrung; ein Ort, der aus allen bisherigen Nutzungsprojekten ausgeklammert wird. Was nach den heutigen wirtschaftlichen Nutzungskonzepten gebaut wird, dient auch nur heutigen wirtschaftlichen Nutzungen. Aber die Metropole muss darüber hinaus wachsen. Der Raum, den sie dafür braucht, ist im heutigen Nutzungsmix von Büroflächen, Passagen, Wohnungen noch nicht vorgesehen. Kann die bisherige Stadtplanung den Bannkreis von Hauptstadteinzug und Investorenwerbung wirklich transzendieren? Sie zeigt wenig Mut und Standvermögen, um den Raum für das langsame Wachsen der städtischen Identität zu bewahren. In der Mitte droht der Mangel an Platz für eine offene und öffentliche Benutzbarkeit der Stadt. Wiederaufbau des Stadtschlosses ist die Besetzung der Mitte durch die Stadt selbst. Ein Schloss für die Stadt braucht das Berlin der Zukunft.

Von Klaus Hartung, Berlin

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