„Der dritte Palast“

12.12.2020   Weltkunst

Nach achtjähriger Bauzeit wurde in Berlin jetzt das Humboldt Forum fertiggestellt. Hinter den rekonstruierten Schlossfassaden wartet nach dem Lockdown ein moderner, vielfältiger Museums- und Veranstaltungskomplex. Noch fehlt allerdings die Hauptattraktion: die außereuropäische Kultur

Von Sebastian Preuss

Ästhetische Wechselbäder durchläuft man im Humboldt Forum, und eine Synthese will sich nicht so recht einstellen. Außen die endlosen, akribisch bis zum Bauschmuck rekonstruierten Fassaden des Berliner Schlosses, das 1950 in einem barbarischen Akt vom DDR-Regime gesprengt worden war. Alles hier wirkt neu und oft auch unecht, aber die Witterungsspuren auf dem Sandstein und den Putzfläche werden in den nächsten Jahren für Patina sorgen. Womöglich wird sich dann für viele sogar festsetzen, dass dies das reale Schloss sei, obwohl das Gebäude mit der untergegangenen Hohenzollernresidenz nicht viel mehr als die Außenmembran gemein hat.

Dann als unmissverständliches Signal, dass es sich um ein modern errichtetes Gebäude handelt, die strenge, scharkantige Ostfassade zur Spree hin. Sie greift die Gliederungen und Geschosse des Barocks auf und übersetzt sie in einen asketischen Rationalismus. Es ist nach allem, was jetzt beim ersten Rundgang durch den fertiggestellten Bau zu sehen ist, das Beste, was dem italienischen Architekten Franco Stella im Humboldt Forum gelungen ist.

Innen wurden Teile der beiden Schlosshöfe rekonstruiert, sonst aber ist es eine sachlich-funktionale Architektur, eher im Geist der Achtziger- und Neunzigerjahre, mit einer Vorliebe für Rasterungen, quadratischen Schematismus, auch gewissen Andeutungen von klasssischen Elementen (leider meist nicht konsequent). Stella hatte 2008 den Wettbewerb unter anderem für seine Passage gewonnen, durch die man zwischen den beiden Schlosshöfen ins Gebäude kommt und zugleich den Komplex auch von Süd nach Nord ganztägig durchlaufen kann.

Warten auf die Kunst

Als Scharnier zwischen den beiden Höfen – dem offenen, ebenfalls immer zugänglichen Schlüterhof und dem großen überdachten Foyer – funktioniert die Wegeachse sehr gut. Leider weht hier nicht das geringste Lüftchen vom Geist der Mailänder oder Pariser Passagen, die ja wohl Vorbild sein sollen. Stattdessen wähnt man sich zwischen den trockenen, durch Rundstäbe und Fenster gegliederten Fronten eher in der Allerweltsarchitektur eines Bürokomplexes oder eines Einkaufscenters. Die Fassadenstücke des Schlosses an den Enden der Passage wirken nur wie theatralischer Kulissenzauber. Nichts ist  zu spüren von der Programmatik in Deutschlands ehrgeizigstem Kulturneubau, wo die lange vernachlässigten außereuropäische Artefakte eine neue Heimat finden und in einem vielfältigen Programm die Folgen des Kolonialismus thematisiert werden sollen.

Die hoch bedeutenden Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst, die seit der Wiedervereinigung ein Schattendasein in Dahlem führten, werden in den kommenden Monaten einziehen. Erst dann, nach zwei Teileröffnungen in der zweiten Jahreshälfte, wird das Humbold Forum komplett sein. Das Wichtigste – nämlich die Kunst und die ethnologischen Objekte aus Asien, Afrika, Nord-, Mittel- und Südamerika sowie aus Ozeanien – fehlt also noch.

Bis dahin wird trotzdem einiges zu sehen sein: Sonderausstellungen wie die kindergerechte Inszenierung „Nimm Platz!“ über die Geschichten des Sitzens, die große Berlin-Schau des Stadtmuseums, das Humboldt Labor der Humboldt Universität zur Wissenschaftsvermittlung, ein Skulpturensaal mit den erhaltenen Fassadenfiguren, ein gewaltiges Videopanorama zu Geschichte des Ortes und der archäologische Keller mit den Grabungsergebnissen bei den Bauarbeiten. Und eben der opulente Bau, der – egal wie man ihn findet – mit all seinen Brüchen ein Erlebnis für sich ist. Nicht nur die Berliner werden begierig sein, sich endlich ein eigenes Urteil bilden zu können.

Nach all den Jahren der Diskussionen und Streitereien, der Skandälchen und Fehlentscheidungen, des Phantomschmerzes um den abgerissenen Palast der Republik wie des Fremdelns mit den wiedererstandenen Fassaden des Schlosses, nach anachronistischen Preußen-Euphorien und postkolonialen Entrüstungsstürmen, nach langer Planung und einem komplizierten Baugeschehen mit erstaunlich wenig Pannen ist das Humboldt Forum jetzt also tatsächlich bereit, seine Tore für das Publikum zu öffnen. Ab 17. Dezember wäre es wie geplant für jeden zugänglich.

Alles dafür ist fertiggestellt und funktionstüchtig. Wer das Humboldt Forum mit dem neuen Flughafen, der Staatsoper oder anderen Berliner Baudramen vergleicht, tut dem Projekt und den Verantwortlichen unrecht. Für die aktuell budgetierten 677 Millionen Euro wurden 100.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche realisiert, inklusive der Innenausstattung bis hin zur Einrichtung aller Büros und Werkstätten. „Ich finde, das ist akzeptabel“, sagt Hans-Dieter Hegner, seit 2016 Bauvorstand der Stiftung Humboldt Forum, und er hat nicht unrecht. Ohne ihn, sagen Eingeweihte, wäre der Riesenkulturpalast jetzt nicht fertiggestellt und wohl nicht im Finanzrahmen geblieben, dessen Erweiterungen vor allem aus der Teuerrung der Baukosten herrühren.

Königsbarock aus Bürgergeld

Nicht vergessen seien die gestifteten, vom Bürgerverein unter Wilhelm von Boddien eingeworbenen 100 Millionen für 750 Meter rekonstruierte Barockfassaden inklusive Westkuppel und Skulpturenschmuck. Eine große Leistung des gesellschaftlichen Engagements. Boddien und andere Preußen-Verehrer träumen weiterhin vom Wiederaufbau einiger Prachtsäle. Aber zu Recht wird es das nicht geben. Das hybride Gebilde aus Schlossfassaden, moderner Architektur und vor allem den außereuropäischen Sammlungen im Inneren ist schon jetzt in der Mischung mehr als heikel. Noch mehr Hohenzollern-Gloria braucht da niemand.

Auch die Probleme mit der Klimatechnik, die am Ende eine Verschiebung der Eröffnung um ein Jahr verursachten, sind mittlerweile behoben. Jetzt vereitelt der Corona-Lockdown eine richtige Eröffnung, die am 16. Dezember abends nur digital stattfinden kann (frei zugänglich über die Webseite des Humboldt Forums). Aber so bald der Berliner Senat Museumsbesuche wieder erlaubt, gehen die Türen auf und die Menschen können kommen. Hartmut Dorgerloh, seit 2018 Generalintendant des Humboldt Forums und zuvor als Chef der preußischen Schlösser in Potsdam und Berlin sehr erfahren mit großen Besuchermassen, kann es kaum erwarten, endlich Publikum im Haus zu haben und den Kulturtanker im Betrieb zu erproben.

Probleme mit mangelndem Platz wird es wohl nicht geben. Über den Schlüterhof (zu dem man durch zwei Barocktore und einen Eingang in der modernen Ostfassade gelangt), durch die Passage oder das Eosanderportal im Westen gelangt man ins große Foyer und ins quergelagerte Treppenhaus, das zu den Sammlungen in den Obergeschossen weiterleitet. Weitere Treppenanlagen im ganzen Bau ergänzen die vertikale Erschließung. Da bis auf die Sonderausstellungen und Teile des Veranstaltungsprogramms (für den es unter anderem Konferenz- und Aufführungssäle gibt) der Eintritt frei ist, kann man spontan und unkompliziert direkt zu der Abteilung gehen, die man sehen will.

Spuren der Geschichte

Das Foyer ist ein Thema für sich. Einst idealistisch als Agora des Kulturaustauschs gedacht, bei dem die Menschen von den drei umlaufenden Galerien der Obergeschosse wie in einem Theater teilhaben sollten, war dies von Beginn an unrealistisch. Jetzt ist es eine imposante Eingangshalle, in der man sich über die Museumssammlungen und die laufenden Veranstaltungen informieren kann. Viel mehr als Imposanz ist es leider nicht. Stellas gerasterter Schematismus fällt auch hier ziemlich uninspiriert aus, die Galerien könnten ebenso gut zu den Zimmern eines Großhotels führen. Einen fast schockierenden Gegensatz dazu bildet das Eosanderportal, die gewaltige, römisch inspirierte Triumphbogenarchitektur von Johann Friedrich Eosander, der neben Schlüter als maßgeblicher Architekt um 1700 am Schlossbau wirkte.

Sehr gelungen ist der archäologische Keller, in dem das Untergeschoss und die Fundamente des Schlosses museal erschlossen wurden. Mit multimedialer Hilfe erfährt man hier viel über die wechselhafte Geschichte des Ortes, ja versteht mehr davon als der ganze rekonstruierte Barockzauber vermitteln kann. Zudem wird überall im Haus auf Gittergestellen und -podesten an das erinnert, was hier stattfand. Das reicht von einem Silberschiff, mit dem Kaiser Wilhelm II. Flottenträumen nachhing, bis zu Objekten aus dem Palast der Republik, etwa die Abstimmungsurne der frei gewählten Volkskammer, die berühmten Lampen (jetzt in den Museumsshops), Anzeigetafeln oder Stasi-Kameras aus der DDR-Zeit.

Das große Treppenhaus, das die Besucherströme zur Berlin-Ausstellung und dem Humboldt Labor im ersten Obergeschoss, danach in die Museumstrakte in den beiden Stockwerken darüber leitet, ist so funktional und nichtssagend wie vieles in Stellas Architektur. Andererseits ist es zuweilen fast wohltuend, dass sich ein Museumsbau einmal nicht so penetrant mit spektakulären Rauminszenierungen in den Vordergrund drängt und den Objekten Konkurrenz macht.

Wie sich Stellas weite, kaum gegliederte Räume für die außereuropäischen Kunstwerke bewähren, ist ohne diese noch nicht so recht zu beurteilen. In der Asien-Abteilung herrscht gediegene, kühle Eleganz, alles vor dezentem Hellgrau, das der Architekt überall als Wandfarbe gewählt. Eine fatale Hinterlassenschaft von Viola König ist der cremeweiße Kunstharz-Zement-Boden, den sich die ehemalige Direktorin des Ethnologischen Museums für die Schausäle ausgesucht hat. Er wirkt kalt, lässt die Raumstruktur unschön verschwimmen, und die Verschmutzung ist absehbar.

Minenfeld des kolonialen Erbes

Leider hatte das Stadtmuseum seine Berlin-Schau zu den ersten Rundgängen noch nicht geöffnet. Ebenso wenig ist über das Humboldt Labor zu sagen. Beides soll aber nach dem Lockdown zugänglich sein. Eine echte Attraktion ist das 28 Meter breite Videopanorama im Erdgeschoss am Schlüterhof. Renaissanceschloss, Um- und Neubau im Barock, Sprengung nach dem Zweiten Weltkrieg, sozialistischer Aufmarschplatz, Palast der Republik, Kunstruine, Rasenfläche, Neubau: Wie auf einem gewaltigen Lichttisch wird hier das wechselhafte Schicksal dieses deutschen Erinnerungsortes ausgebreitet. Gemeinsam mit dem archäologischen Keller ist die Riesenprojektion eine wichtige Grundlage, um die Entstehungsgeschichte des dritten Palasts und sein Zwitterkonzept zu begreifen.

Alles hängt jetzt daran, was in den beiden oberen Museumsetagen mit den Objekten geschieht. Gelingt es, die Magie der weltbedeutenden Sammlungen zur Geltung zu bringen? Glückt es, uns die fernen Kulturen nahe zu bringen? Entsteht tatsächlich der Dialog zwischen den Kontinenten, den alle beteiligten Politiker so großtönend angkündigt haben? Eines steht fest: Den postkolonialen Diskussionen, die derzeit überall in der Welt entbrannt sind, wird das Humboldt Forum nicht entkommen. Und damit auch der Frage, ob und wie Stücke nach Afrika oder Südamerika zurückgegeben werden müssen. Das alles weiß jeder im Haus, entsprechend hoch ist der Erwartungsdruck.

Das Humboldt Forum, so wie es sich jetzt darstellt, ist gewiss kein Höhepunkt der Museums- und Architekturgeschichte. Aber es ist auch kein Desaster, und es kann seine Funktion gut erfüllen. Im Grunde konnte bei diesem Projekt – das gilt für den Bau wie für seinen Inhalt – nichts anderes als ein großer Kompromiss heraus kommen. Zu viele haben mit entschieden oder ihre Ansprüche durchgesetzt. Bis heute liegt das Hauptproblem in den überzogenen Erwartungen und dem von Beginn an viel zu überladenen Konzept. Hartmut Dorgerloh und der Museumschef Lars-Christian Koch haben es mit ihren Teams jetzt in der Hand, das so wolkige (und nicht von ihnen) erdachte Gedankenkonstrukt dieses Hauses mit realem Leben zu erfüllen. In einem Jahr wissen wir mehr.

 

Quelle: 12.12.2020 Weltkunst

 

 

 

 

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