„Berliner Stadtschloss: Die Geschichte wird unterschlagen“

30.11.2020  Berliner Zeitung

Wilhelm von Boddien hat die versprochenen Spenden in Höhe von 105 Millionen Euro für die Fassade des Berliner Schlosses eingeworben. Ein Erfolg mit Widerhaken.

Von Nikolaus Bernau

Kurz bevor das Humboldt-Forum Mitte Dezember wenigstens virtuell in Betrieb gehen soll, konnten der 1992 von Wilhelm von Boddien mitbegründete „Förderverein Berliner Schloss“ und die Stiftung „Humboldt Forum im Berliner Schloss“ einen Riesenerfolg bekanntgeben: Wie vor fast 20 Jahren versprochen, wurden 105 Millionen Euro an Spenden eingesammelt und überwiesen. Sie begleichen nun nachträglich den Nachbau der Barockfassaden der 1950 auf Befehl der SED gesprengten einstigen Hauptresidenz der Hohenzollern, den der Innenportale zum einstigen Eosanderhof, der drei barocken Seiten des Schlüterhofs und den der Schlosskuppel.

Als von Boddien 2002 dem Bundestag versprach, diese Spenden nach dem Vorbild der Dresdener Frauenkirche-Kampagne zu sammeln, wurde das weithin als großmäulig verlacht. Das Berliner Schloss war zwar in Fachkreisen als eines der bedeutendsten Bau-Kunstwerke der mitteleuropäischen Renaissance, des nordischen Barock und Klassizismus anerkannt; die Sprengung der teilweise schon wieder gesicherten Ruine 1950 galt als ein Akt blanker Kultur-Barberei. Aber viele Menschen hatten den Prachtbau um 1990 fast vergessen. Vierzig Jahre DDR-Propaganda, der zufolge die Schlossruine angeblich unrettbar gewesen sei – tatsächlich waren viele andere Residenzbauten Europas weit schwerer beschädigt, die dann wieder entstanden -, der Bau des Palastes der Republik von 1972 bis 1976 und der bis in die 1980er Jahre hinein reichende Unwille, sich mit der nicht-militärischen Geschichte Preußens zu beschäftigen, hatten die Erinnerung zunehmend verwischt.

Auch wenn ihm viele geholfen haben, ihn organisatorische unterstützten und in Krisenzeiten ermunterten: Die 105 Millionen Euro Spenden sind der große Erfolg Wilhelm von Boddiens. Ohne sein Engagement wäre schon die von dem Architekten Frank Augustin und dem Schlosshistoriker Gerd Päschen entwickelte, aber von Boddien durchgesetzte Schlosskulisse von 1993 nie umgesetzt geworden. Selbst energische Gegner des Fassadennachbaus wie die Architekturgaleristin Kristin Feireiss oder Skeptiker wie der Autor dieser Zeilen arbeiteten an diesem Projekt mit. Es demokratisierte nämlich in fast einzigartiger Weise die Debatte um Architektur. Denkmalpflege und preußische Geschichte: Plötzlich stritten auch diejenigen über die Schlossfassaden, die allein mit Modellen oder Plänen nicht dazu zu bewegen gewesen wären.

Man mag das Ergebnis dieser Debatte, den Abriss des ohne Weiteres weiter zu verwendeten Palast-Stahlgerüsts seit 2006 und den architektonisch bestenfalls mediokren Neubau des Humboldt-Forums nach Plänen Franco Stellas nicht für richtig oder angemessen halten.

Aber im Vergleich etwa zum Bau der skandalösen „Einheitswippe“ oder zum Bau des Museums der Moderne mitten auf dem Kulturforum sind die Entstehungsgeschichte des Forums und der Schlossfassaden Musterbeispiele demokratischer Mitsprache; für das Museum übrigens lehnte der Senat einen Kulissenbau nach dem Vorbild des Boddien-Projekts charakteristischerweise ab, um die öffentliche Debatte über diesen Riesenbau zu behindern. Doch jedes Projekt hat seinen Preis. Der für die Schlossfassaden ist nicht nur in den 105 Millionen Euro zu messen. Das echte Schloss ist in mehrmals einem halben Jahrtausend entstanden, war sozial, künstlerisch und historisch phänomenal vieldeutig und kompliziert. Das, was jetzt vor uns steht, ist bis hin zur intellektuellen Einfalt eindeutig.

Preußen wird mit diesem Humboldt-Forum gegen alle reale Geschichte zu einem reinen Kulturstaat stilisiert. Dass die Hohenzollern über diesen Bau eisern ihren oft ruchlosen Machtanspruch verfochten, dass dieser Bau unter Kaiser Wilhelm II sogar zur deutschen Reichsresidenz ausgebaut wurde – all das wird unterschlagen.

Der Fassadennachbau war eben nur möglich durch radikale Enthistorisierung und Entpolitisierung der echten Schlossgeschichte. Nur so war es Republikanern, aber auch Badenern, Sachsen oder Bayern möglich, dem Projekt zuzustimmen. Mit dem Schlagwort „Rekonstruktion“ wurde es sogar möglich, jene unsägliche eindeutig antijüdische Inschrift am Kuppelnd neu zu schaffen, die auch alle anderen Nichtchristen vom Weg zum spirituellen Heil ausschließt. Und das über dem Tor des Weltkulturen-Zentrums Humboldt-Forum. Um barocke Schönheit neu zu schaffen, wurde mangelndes Geschichtsbewusstsein in Kauf genommen – für 105 Millionen Euro.

 

Quelle: Berliner Zeitung, 30.11.2020

 

 

9 Kommentare zu “„Berliner Stadtschloss: Die Geschichte wird unterschlagen“

  1. Ein sehr interessanter Beitrag der diese sehr komplizieretn Themen von mehreren Seiten beleuchtet. Aber vielleicht waere es einfacher, den Bau lediglich als das zu sehen, was der Foerderverein schon immer sagte: ein Bau der als Kernstueck des Zentrums das architektonische Gesamtbild wiederherstellt.

  2. Zu der angeblich antijüdischen Inschrift. Nach Evangelischen Kirchenblatt für Hessen und Nassau vom 28.9.1986, S.2, unter einem Bild (auf dem die Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Frankfurt/Main, Michel Friedman, Ignaz Bubis, Kinder, sowie der Rabbiner E. Zelmanovich zu sehen waren) heißt es :,,…brachte Rabbiner E. Zelmanovich am rechten Türpfosten eine sogenannte ,,Mesusa“ an: eine Kapsel mit einem Pergamentblatt mit Texten aus dem Fünften Buch Moses, die beim Ein- und Ausgehen von Juden berührt wird.“ Man lese da nach, z.B. 5.Mose 20.13. Erfordert vielleicht soviel Mühe wie das blaue Schriftband zu lesen.

  3. Der Beitrag von Herrn Bernau fängt durchaus differenziert und sachlich an. Dann gleitet er wieder ab in die üblichen, stereotypen Vorwürfe. Dazu frage ich:
    Wer von den für das Humboldt-Forum Verantwortlichen, Bauherren, Bundestag oder Förderverein „stilisiert mit diesem Humboldt-Forum Preußen gegen alle reale Geschichte zu einem reinen Kulturstaat“?
    Herr Bernau sieht wohl den Schlossbau, und in Erbfolge auch das neue Humboldt-Forum als aktiv treibende, schuldhafte Elemente des „ruchlosen, eisern verfochtenen Machtanspruchs der Hohenzollern“. Das alte kunstvolle, barocke Gebäude von 1714 war wohl verantwortlich für die späte wilhelminische Geschichte?
    Weiter sagt Herr Bernau: „Der Fassadennachbau war eben nur möglich durch radikale Enthistori-sierung und Entpolitisierung“ der echten Schlossgeschichte. Ist es nicht eher umgekehrt, wenn Kritiker wie Herr Bernau die geschichtlich bedeutsamen Rossebändiger, den Neptunbrunnen vom Schlossplatz fernhalten, das Kreuz ebenso wie den umlaufenden Bibelspruch als unerträgliche Machtsymbole missdeuten, obwohl sie authentisch den Zustand von 1854 abbilden und historisch viel über Friedrich Wilhelm den Erbauer der Kuppel und der Kapelle aussagen?
    Zu seiner Kritik an der „eindeutig antijüdischen Inschrift an der Kuppel, die auch alle anderen Nichtchristen vom Weg zum spirituellen Heil ausschließt“: Dieses krasse und oberflächliche Missverständnis kann der hervorragende Artikel von Peter Stefan im Berliner Extrablatt aufklären, der tief auf die historische Welt und damalige politische Sicht des eher bescheidenen Bauherrn eingeht.
    Wieder einmal wird versucht, ein historisches Gebäude, das als Teil eines Ensembles aus städtebaulichen, architektonischen und künstlerischen Gründen rekonstruiert wurde, mit ideologisch durchsetzter Geschichtskritik zu kontaminieren. Müsste man dann nicht auch alle repräsentativen Bauten, Schlösser usw. aus feudalen Zeiten abreißen? Warum wettert Herr Bernau nicht gegen das Zeughaus (Militärarsenal!)? Warum hat man andererseits in der DDR-Zeit zwei Kirchen am Gendarmenmarkt wieder aufgebaut? Wenn etwas Ausdruck totalitären Denkens ist, dann die Forderung, Kunstwerke und historische Dokumente hätten zeitkonform zu sein (Peter Stefan) oder müssten dem modischen Zeitgeist (immer wieder neu?) angepasst werden.

  4. Zu: „jene unsägliche eindeutig antijüdische Inschrift am Kuppel neu zu schaffen“

    Ehrlich? Was für eine unsägliche und freche Provokation! Einfach scheußlich! Nur, die Person die so etwas schreibt, und so etwas denkt, die ist scheußlicher!

    Preußen war historisch gesehen ein Kulturstaat, ein führender Staat, ein progressiver Staat, ein visionärer Staat. Ohne Preußen gäbe es Deutschland nicht. Preußen hat das zersplitterte, zerstreute, zertrampelte Deutschland vereinigt, und darüber müssen wir alle echt froh sein! Was wäre die Alternativ gewesen? Dutzende Kleinstaaten mit scheußlichen Fürstchen – Menschen wie derjenige der so eine billige Provokation hier schrieb?

  5. Die Inschrift, „die auch alle anderen Nichtchristen vom Weg zum spirituellen Heil ausschließt“: Ja, es kann logisch nur eine Wahrheit geben, und jede Religion nimmt dies für sich in Anspruch. Die Argumentation des Autors entspricht der eines Schülers, der die Aussage des Lehrers, zwei plus zwei sei vier, kritisiert mit den Worten, diese Aussage würde alle anderen Ergebnisse dieser Rechnung ausschließen.

  6. Nikolaus Bernau irrt! Die heftige Kritik gegen Kreuz und Inschrift auf der Schlosskuppel unterstellt, diese „Symbole der Unterwerfung und Knechtung“ seien mit den Idealen einer demokratischen, toleranten Gesellschaft nicht vereinbar und fehl am Platze. Dazu eine Klarstellung (verkürzt nach Peter Stephan, Berliner Extrablatt):
    Das Kreuz zeigt das elende Sterben Jesu. Mit dem Kreuz in Gold wird Jesus geehrt, der mit Selbsthingabe den Tod überwunden hat. Er verkündete das außerweltliche Reich Gottes, dem der Mensch nur freiwillig bekennend, innerlich, metaphysisch angehören kann. Die Cherubim, unter Palmzweigen, sind Friedenskünder. Die Propheten gelten als Korrektiv königlicher Macht. Durch ihre Autorität und die Kraft des Wortes warnen sie vor der Versuchung, selbstherrlich die göttlichen Gebote zu übertreten. Die Kuppel bezeugt das über dem König stehende Gottesreich.
    Eosander hatte für Friedrich I. das Portal III als Triumphbogen in der Tradition römischer Cäsaren erstellt. Diesen imperialen Anspruch hatte Friedrich Wilh. IV durch die sakrale Kuppel begrenzt. Über Thron und Triumphbogen diente die Kuppel statt dem Prestige des Königs der Ehre Gottes. Glaube und Friedensliebe des frommen Königs wurden symbolisch über die Ruhmsucht und Kriegslust antiker Kaiser und über die Selbstvergottung absolutistischer Könige des 18. Jhds. gestellt.
    Mit der biblischen Inschrift verdeutlichte der König, dass er nicht eitel und absolutistisch über den Gesetzen stehe, sondern in Demut handeln wollte. Die Untertanen sollten nicht vor dem König, sondern mit ihm vor Gott knien. Die Inschrift untersagte dem König auch, sich zum Messias zu erheben. Friedrich Wilh.: „Ich bekenne es, dass ich meine Krone zu Lehen trage und dass ich Ihm (Gott) Rechenschaft schuldig bin von jedem Tag und jeder Stunde meiner Regierung.“ Allerdings grenzt das Gottesgnadentum auch ab gegenüber Freiheitsdenken und der Revolution von 1848.
    Ergebnis: Behauptungen, Kreuz und Inschrift propagierten reaktionäre Gesinnungen, religiöse Intoleranz, seien Symbole der Unterwerfung und Knechtung, sind also Pauschalierungen, welche die Sinnschichten im Kontext ihrer Zeit überdecken. Die Forderung, historische Dokumente hätten zeitgeistkonform zu sein, würde fortwährend zerstörende Bilderstürme auslösen und ist selbst Ausdruck autoritären Denkens. Die Wiederherstellung kunstgeschichtlicher Dokumente dient neben der ästhetischen Stadtreparatur auch der Rückgewinnung historischer Sinnschichten.

  7. Die christlichen Worte der Kuppelinschrift (Apg 4,12 und Phil 2,10) sind eine Frohe Botschaft; diese zu verdrängen und zu mißdeuten ist das Problem auch von Hr. Bernau: um 1850 brauchte Friedrich Wilhelm IV eine neue Schloßkapelle; er war König, deshalb war der Spruch nicht von „Kaisers Gnaden zusammengestoppelt“, sondern ist ein persönliches und politisches Glaubensbekenntnis;
    Er ließ die Kuppelkapelle auf dem Prunk des preußischen Triumpheingangstores errichten (für barocke Flügelanlagen bauästhetisch fragwürdig), aber um als protestantisches Königshaus beispielhaft Gott die Ehre zu erweisen!
    Wir müssen diese Bausymbolik als christliches Zeugnis verstehen und akzeptieren lernen. Auch auf dem DDR Fernsehturm leuchtet das christliche Kreuz. Das Humboldtkreuz paßt zu den Innenstadtkirchen.
    Wie wir heute mit geheuchelter Distanz zu Preußen dieses Zeugnis fehlgeleitet mißdeuten, zeigt auch der GeschichtsFassadenVorwurf. Kritiker sollten exegetisch wissen, daß im Philipperbrief die Hinwendung des Menschen zu Gott in christlicher Freiheit geschieht und zwar im Christushymnus als Gegenbild zum römischen Kaiserunterwerfungskult!
    Christentum ist kein! Unterdrückersystem, sondern Hinwendung zum Nächsten, Hinwendung zur Begegnung: der Mensch neigt sich-beugt sich freudig Jesus entgegen, der die Menschheit wandelt, so wie Familien, die sich in freudiger Erwartung zum Fest einander zuneigen, oder wie ein Tänzer zu seiner Tänzerin. So ist es gemeint: Die Kuppelinschrift ist eine Nachricht für das weltoffene Berlin!
    Für die kulturpolitische Arbeit im Humboldtforum sollte man nicht ideologisch festgefahrene Vorurteile der Vergangenheit behaupten. Chancen ergäben sich, publizistisch neu Verständnis aufzubauen und aus der Geschichte für die Zukunft zu lernen.
    Also Leute hinspazieren zu dieser gelungenen, erhebenden Barockfassade und die Kuppelinschrift lesen und verstehen!

  8. Das Schloss wird noch stehen, wenn diese „Schlosskritiker“ längst nicht mehr leben…
    Was juckt es die Eiche wenn sich die Sau an ihr reibt.

  9. Herr Bernau muß sich fragen lassen, ob sein Bild auf die preußische Geschichte nicht intellektuell
    zur Einfalt neigt. Anmaßend falsch und einseitig ist es jedenfalls nach meiner Ansicht.

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