„So helfen Menschen in Berlin: Geben, was man hat“

11.09.2018   Süddeutsche Zeitung

 

In Berlin teilen viele Leute ihre Zeit und ihre Kreativität

Von Verena Mayer

Arm, aber sexy. Der Leitspruch, mit dem Berlin bekannt wurde, lässt sich auch auf das Spendenwesen übertragen. Nicht nur, dass es hier die längste Zeit an Geld fehlte, als Stadt war Berlin selbst gewissermaßen auf Spenden angewiesen, erst durch die Bundeshilfe für Westberlin, später durch den Länderfinanzausgleich.

Und ein alteingesessenes Bürgertum, das sich durch Stiften und Spenden definiert und die entsprechenden Vermögenswerte mitbringt, fehlt in Berlin ebenfalls. Was nicht heißt, dass es in Berlin nicht auch eine rege Kultur der Gemeinnützigkeit gibt. Sie äußert sich nur anders. Indem man nämlich das gibt, wovon die Leute in Berlin traditionellerweise am meisten haben: Zeit und Kreativität.

Da wird schnell mal zusammen mit anderen Eltern am Wochenende das Klassenzimmer neu gestrichen, ein Konzert für das finanziell klamme Nachbarschaftszentrum organisiert, der heruntergekommene Platz im Kiez mit Blumen bepflanzt oder eine Soli-Aktion für einen Mieter veranstaltet, der von einer Wohnungskündigung betroffen ist.

„Jekami“ nennt man in Berlin diese Art von Engagement, die Abkürzung für „Jeder kann mitmachen“. Wer nicht mitmacht, ist schnell unten durch, die soziale Kontrolle in den Berliner Kiezen, die nicht anders als Dörfer funktionieren, ist seit jeher groß.

Das einzige Berliner Großprojekt, das mit privaten Spenden finanziert wurde, ist interessanterweise eines, das an die Zeiten anknüpft, in denen Berlin noch die gut situierte Hauptstadt eines Kaiserreichs war: der Wiederaufbau des im Krieg zerstörten Berliner Stadtschlosses nämlich. Jahrzehnte lang trommelte der Förderverein Berliner Schloss um den Unternehmer Wilhelm von Boddien für diese Idee, sammelte Spenden, suchte sich Multiplikatoren, bis das Projekt schließlich auch von der Politik befürwortet wurde.

Mehrere Millionen Euro sammelte der Verein jedes Jahr an Spenden, am Ende sollen es 105 Millionen Euro sein. Ob das Spendenziel schon zur geplanten Eröffnung des Humboldt Forums, das Ende 2019 in das wieder errichtete Gemäuer einziehen soll, erreicht wird, ist derzeit die Frage. Aber dass immer alles länger dauert als geplant – auch das ist schließlich Berlin.

 

Quelle: Süddeutsche Zeitung, 12.09.2018  

 

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