„Schlossfreiheit: Zwischen städtischem Leben und Lust an Nationaldenkmalen“

20.08.2018  Berliner Zeitung

Von Martina Adam-Tkalec

Schlossfreiheit? Das bedeutete von 1953 an mehr als 60 Jahre Freiheit vom Schloss. Es gab kein Schloss, also auch keinen Platz davor, den man hätte Schlossfreiheit nennen können. Der Ort war getilgt – real und im Gedächtnis der Bürger.

Ganze zehn Treffer erzielt die Recherche im Archiv der Berliner Zeitung für die 30 Jahre zwischen 1960 und 1990 für das Wort Schlossfreiheit, davon sechsmal im Zusammenhang mit historischen Romanen.

So erzählt der kommunistische Schriftsteller Otto Gotsche in seinem Werk „Standort Marstall“ über die revolutionären Ereignisse im Herbst 1918, wahrscheinlich ist – hinsichtlich der Details fantasievoll – vom 8. November die Rede: „Das Sperrfeuer der Matrosen von der Schlossplatzseite verhinderte jede Annäherung. Vom Marstall schlug das MG-Feuer der Verteidiger die Gegner in der Breiten Straße zurück. Im Eckzimmer des Schlosses an der Schlossfreiheit detonierte eine Granate. Der Matrose Richter fiel. Ein Splitter zerriss ihm die Brust.“

Irgendwas aufstellen

Dem Heldentum folgte ein Sieg: Am 9. November, der Kaiser hatte am Morgen abgedankt, wurde gleich zweimal die Republik ausgerufen: Um 14 Uhr trat der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann eilends auf den Westbalkon des Reichstags, um mit seiner Proklamation dem Kommunisten Karl Liebknecht zuvorzukommen, der um 16 Uhr von einem Balkon des Schlosses Richtung Lustgarten zum historischen Akt schritt. Diesen Balkon rettete die DDR-Führung beim Schlossabriss 1953 und baute ihn 1964 in das neue Gebäude des Staatsrates ein.

Auf Ereignisse wie diese beziehen sich gegenwärtig die heißen Debatten um die historische Vielschichtigkeit der Schlossfreiheit, denn diese entsteht gerade erst wieder mit dem Schloss – subito wird ihre eminente nationale Bedeutung wiederentdeckt. Irgendetwas soll dorthin, muss dort hin, umgehend – ein Horror Vacui, die Angst vor der Leere, hat Teile der Politik erfasst. Was also könnte man auf die Schnelle, noch bevor man sich im Klaren darüber wäre, wie der gesamte Raum rund um das Humboldtforum ausgestaltet werden soll, dort abstellen?

Die Märzrevolution von 1848

Ein Kandidat ist das Einheits- und Freiheitsdenkmal nach dem Entwurf des Büros Milla&Partner – eine große Schale, von aktiven Bürgern in Bewegung zu setzen. Um dem Argument Kraft zu verschaffen, dieses gehöre an die Schlossfreiheit, werden weitere historische Ereignisse angeführt, die man mit einigem guten Willen in Bezug zur Schlossfreiheit setzen kann.

Da wäre die Märzrevolution von 1848, der erste Versuch liberaler, bürgerlicher, nationalistischer (auch antisemitischer) Kräfte, gegen die Monarchie Freiheitsrechte durchzusetzen. Tatsächlich fanden die zentralen Auseinandersetzungen am Berliner Schloss statt, allerdings nicht auf der Schlossfreiheit, sondern zunächst in der Königsstraße (heute Rathausstraße) bis zum Alexanderplatz, dann in der Breiten Straße. Dort bauten die Oppositionellen ihre Barrikaden, dort starben etwa 200 Menschen, die Märzgefallenen. Die Aufständischen bahrten diese im Schlosshof auf, der König musste die Mütze vor ihnen ziehen.

Wohlfühlort mit Restaurants und Läden

1897 schließlich platzierte Kaiser Wilhelm II. das monumentale Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal zur Ehre seines Vaters zwischen Schloss und Ufer. Der Sockel ist weitgehend erhalten und steht unter Denkmalschutz. Mächtige Bronzelöwen, die zum Sockelschmuck gehörten, zieren heute den Tierpark Friedrichsfelde. Es gab auch schon die Idee, die Kolonnaden, die einst im Halbrund das Reiterstandbild umgaben, wieder zu errichten.

Und schließlich erinnern sich Teilnehmer der Demonstration vom 4. November 1989, die dem SED-Staat den letzten Stoß gab, auf dem Weg zum Alex die Marx-Engels-Platz genannte Asphalt-Ödnis vor dem Palast der Republik in Hochstimmung überquert zu haben – womit der Ort tatsächlich mit bewegten Bürgern, Akteuren der friedlichen Revolution in Kontakt kam.

Bevor Kaiser Wilhelm auf sehr hohem Ross die Schlossfreiheit besetzte, kannte Berlin diese als Wohlfühlort mit Restaurants und Läden. In einer Zeitungsanzeige von 1830 annoncierte Fabrikant A. H. Laufer u. Co, Schlossfreiheit No. 8, daselbst ansässig: „Alle Arten Strohhüte, auch Basthüte, werden vorzüglich schön gewaschen und nach den neuesten Façons umgearbeitet.“

Ein Ausgehviertel

Der Große Kurfürst hatte diese Entwicklung ausgelöst, als er 1671 die Bebauung am Spreekanal anwies. Zehn Häuser entstanden. Der Bau am Wasser war wegen der Fundamentsicherung teuer, weshalb der Fürst diverse Freiheiten gewährte: die Befreiung vom Grundzins, vom Wachdienst und von militärischen Einquartierungen sowie Gewerbefreiheit.

Im Gegenzug erwartete der Hof von den derart Begünstigten, Personen aus dem Gefolge von Gästen des Hofes unterzubringen. Um sich auch dieser Pflicht zu entledigen, vereinbarten 1844 die Hausbesitzer, meist Adlige und Höflinge, eine Jahreszahlung von 1000 Talern an das Hofmarschallamt.

Das war angesichts enorm gestiegener Grundstückswerte keine besonders drückende Last. Berlin war infolge der Königskrönung 1701 zur königlichen Residenz aufgestiegen. Das Schloss erlebte seinen barocken Ausbau. Die Immobilien lagen mittlerweile hochprivilegiert.

Platz für das Nationaldenkmal

Die Besitzer nutzten die Gewerbefreiheit. Schon 1676 öffnete die erste Schankwirtschaft. Wirt Hamrath servierte teures Bier von außerhalb. Dabei gehörte er gar nicht zu den Eigentümern, hatte allerdings das Straßenpflaster bezahlt. Nur den Schlossherren missfiel die Häuserreihe zunehmend.

Da hatte man nun mit neuer Westfront samt Eosanderportal einen repräsentativen Auftritt – und den verstellten die alten Schachteln. Wilhelm II. setzte schließlich ihren Abriss durch und schaffte so Platz für das Nationaldenkmal. Vorbei war es mit dem lustigen Leben dort. 1894 begann der Abriss der Häuser. Was wäre, wenn Schlossfreiheit künftig hieße: Freiheit von Nationaldenkmalen? Platz für Leute und Leben?

 

Quelle: Berliner Zeitung, 20.08.2018

 

 

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