“ „Vorsicht Kinder!“: Testballon für das Humboldt-Forum“

08.07.2017   Berliner Morgenpost

Die zweite Ausstellung ist ein Prototyp für die unterschiedlich zu bespielenden Wechselausstellungsflächen.

Von Gabriela Walde

Die große Nachrichtentafel gleich am Eingang der Ausstellung versammelt wenig Gutes über die Kinder unserer Welt: Eine halbe Millionen leidet im Jemen an Hunger, vermeldet Unicef. Das Foto dazu zeigt ein Kinderbeinchen so dünn wie der Daumen eines Erwachsenen. „Spiegel online“ berichtet im November 2014, dass jedes 20. Kind in Deutschland materiell unterversorgt ist. Die Zahl der minderjährigen, unbegleiteten Flüchtlinge hat sich seit 2010 verfünffacht – auch das erklärt Unicef.

Gleich neben dieser Auflistung stoßen wir auf andere Sphären, auf eine steinerne Muttergöttin, die zwar keine Nase mehr hat, dafür gleich drei Säuglinge in den Armen hält wie eine professionelle Nanny.

Diese mächtige Statue stammt aus der Nähe von Neapel – und steht für das Bedürfnis, in religiösen Ritualen eine Form von Sicherheit und Schutz zu finden – vor allem für die eigenen Kinder. In einer Vitrine entdecken wir ein rotes Döschen, es beinhaltet Schminke. In Indien und einigen arabischen Staaten umrahmt man damit die Augen der Säuglinge. Sie sehen dann zwar aus wie schwarze Eulen, doch genau das bietet Schutz vor bösen Geistern und Infektionen, so der Glaube.

Im vergangenen November folgte die Auftaktschau mit „Extreme! Natur und Kultur am Humboldtstrom“

„Vorsicht Kinder! Geschützt, geliebt, gefährdet“ heißt die zweite Ausstellung in der Humboldt-Box unmittelbar neben dem Stadtschloss. Ein „Prototyp“ (Neil MacGregor) für die unterschiedlich zu bespielenden Wechselausstellungsflächen im künftigen Humboldt Forum. Diese Ausstellungsformate sollen in Ergänzung zu den außereuropäischen Sammlungspräsentationen im Rhythmus von drei bis sechs Monaten mit neuen Themen die Besucher überraschen.

Im vergangenen November folgte die Auftaktschau mit „Extreme! Natur und Kultur am Humboldtstrom“ den Spuren von Alexander von Humboldt nach Peru. Auch die aktuelle „Kinder“-Konzeption wurde diesmal wieder in einer konzertierten Aktion von sieben Berliner Institutionen entwickelt, darunter die Antikensammlung, das Ethnologische Museum, das Museum Europäischer Kulturen und das Stadtmuseum sowie der Botanische Garten und das Botanische Museum in Dahlem.

Was für den Besucher wenig spektakulär klingt, bedeutet für die Berliner Museen einen weiteren Schub in der engeren Zusammenarbeit. Die Kooperation zeigt einmal mehr, so Gründungsintendant Neil MacGregor, wie reich an Objekten die Dahlemer Sammlungen und die Berliner Häuser tatsächlich sind. Auch wenn, fügt er augenzwinkernd hinzu, die Zusammenarbeit nicht immer leicht gewesen sei.

Neben dem Thema Schutz ist auch die Flucht ein Thema

In einem Séparée finden wir historische Klassenfotos der Beagle Bay Mission. Im Nordwesten Australiens wurden Kinder der Aborigines auch von deutschen Missionaren nach christlichen Werten erzogen. Sie wurden damit nicht nur ihren Eltern entzogen, sondern verloren auch ihre Sprache. 30.000 Kinder erlitten dieses Schicksal.

Die Australier bezeichnen sie mittlerweile als „Stolen generation“. Laut der UN-Kinderrechtskonvention von 1990 hat jedes Kind ein Recht auf Bildung – mit der Möglichkeit, in der eigenen Sprache zu lernen. Die Schau illustriert mit einigen Beispielen auch die jüdischen „Kindertransporte“ von 1937/1938 in Richtung Großbritannien. Eine paradoxe Situation: Für die Mädchen und Jungen bedeutete es Sicherheit vor den Nazis – ihre Eltern sahen die meisten aber nie wieder. Einen Bogen in die Gegenwart schlägt Magnus Wennman mit seiner Dokumentation „Children Sleep“, er fotografierte schlafende Kinder in Flüchtlingscamps in Jordanien, im Libanon und der Türkei.

Die Räumlichkeiten in der Humboldt-Box sind begrenzt

Eingebettet in einen universellen kulturhistorischen Kontext wünscht man der Ausstellung allerdings ein wenig mehr künstlerischen Esprit. Diesen vermitteln Werke wie die Videoinstallation „Sich sicher sein“ von Sonya Schönberger, die 16 Berliner unterschiedlichen Alters ihre Kindheit erzählen lässt. Allerdings kennt man die Porträts bereits aus der Ausstellung „Schloss.Stadt.Berlin“ im Ephraimpalais.

Die Räumlichkeiten in der Humboldt-Box sind begrenzt, daher fehlen leider großzügige Gegenüberstellungen, vieles bleibt in Vitrinen brav „gefangen“. Am Ende entlässt uns die Ausstellung mit drei Fotos von schießenden Kinder. Hier werden Opfer zu Tätern, und bleiben doch Oper einer Welt, die ihnen unwiederbringlich die Kindheit genommen hat.

Humboldt-Box, Schlossplatz 5, Mitte, Eintritt frei, tgl. 10–19 Uhr, bis 14. Januar, Führungen Fr./Sbd./So. 15 Uhr. Familienworkshop: So., 14 Uhr (ab 8 Jahre).

 

Quelle: Berliner Morgenpost, 08.07.2017

 

 

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