„Wie viel Bildung muss ins Humboldt Forum?“

12.01.2017   DIE ZEIT  –  ZEIT Campus

 

Ins Berliner Stadtschloss könnte eine Akademie oder eine Schule einziehen – zwei Vorschläge zur Belebung der Debatte.

Von Christoph Müllers und Robert Haase

 

UNIVERSITÄT?

„Eine Akademie demokratischer Rechtsstaatlichkeit“

Während sich die demokratische Welt um uns herum im freien Fall befindet und das europäische Projekt sich seinem Ende nähern könnte, baut die Bundesrepublik Deutschland auf ihrem zentralen hauptstädtischen Platz ein Königsschloss nach.

Und während allenthalben auffällt, wie ordentlich die politischen und rechtlichen Institutionen in Deutschland funktionieren, wie gut sich das Land im allgemeinen Zerfall (noch) hält, bauen wir in das Schloss etwas, was mit vielen Namen versehen, doch nichts anderes sein wird als ein Museum. Verweigerung von Zeitgenossenschaft und Verweigerung von Politik gehören zusammen, und nicht zufällig hob die Kulturstaatsministerin kürzlich lobend hervor, dass sich das Humboldt Forum von der Politik „erfolgreich abgenabelt“ habe. War es jemals ernsthaft angenabelt? Und ist das Humboldt Forum ein freies Theaterprojekt, in das sich der staatliche Geldgeber besser nicht einmischen sollte?

Es ist der zentrale Ort der Selbstdarstellung unserer Republik – und dem könnte etwas Politik nicht schaden. Politische Bedeutung wird es ohnehin bekommen. Auch der Bürger, der vor der Revolution ins Museum flieht, vollzieht einen politischen Akt: den des Politikflüchtigen, dem egal ist, wer regiert, solange der Kulturbetrieb läuft. Dieses Versäumnis dem politischen Prozess vor die Füße zu werfen hieße freilich, es zu wiederholen, also sich selbst aus der Verantwortung zu stehlen. Denn alle, die ein Interesse haben, müssen sich fragen, warum sie sich nicht gemeldet haben, um ihr Projekt einzubringen. Zwar war niemand dazu eingeladen, aber wenn es um unseren Platz in unserem Land geht, dann muss man sich nicht damit abfinden, die Planung einer kunsthistorisch beratenen Museumsverwaltung zu überlassen.

Vielleicht ist es für uns alle nicht zu spät, zu überlegen, was wir mit dem Forum machen wollen – und wenn es zu spät wäre, dann läge in diesem Scheitern ein eigener Beschreibungswert.

Kürzlich war ich für zwei Wochen in London, wo sich an verschiedenen Universitäten Juristen, Politikwissenschaftler, Philosophen aus Kontinentaleuropa fragen, was aus ihnen nach dem Brexit werden soll. London ist so international, wie Berlin es gerne wäre, aber Berlin ist auch ein Sehnsuchtsort für viele dort – und leider einer, der sich zu wenig Mühe gibt, diese Sehnsüchte zu bedienen. „Wenn ihr einen Job hättet, würden wir sofort kommen“ war der häufigste Satz, den ich dort hörte, und er kam von Leuten, deren akademische Arbeitgeber international mehr Ansehen genießen als die Berliner Hochschulen. Zugleich ist das Interesse am deutschen Verfassungssystem in Europa und in der ganzen Welt sehr groß und weiter wachsend. An der Vermittlung unseres Verfassungsdenkens und am Vergleich mit anderen wird aber immer noch zu wenig gearbeitet. Wäre hier nicht ein Ansatz, sich den Moment zunutze zu machen, um in Berlin eine Akademie demokratischer Rechtsstaatlichkeit zu gründen, die von Berliner Forschungseinrichtungen mithilfe des Bundes getragen würde?

Mit wenig Mitteln könnten hier deutsche und ausländische Wissenschaftler Konstitutionalismus erforschen und lehren und über Formen des seit Langem von der Bundesregierung betriebenen deutschen Rechtsexports nachdenken; denn die reichhaltigste und nachhaltigste Vermittlung der grundgesetzlichen Ideenwelt dürfte durch eine Ausbildung in Deutschland möglich werden.

In einem solchen Projekt könnten ganz unterschiedliche Fäden zusammenlaufen: die wissenschaftspolitische Lage nach dem Brexit, die weltpolitische Rolle Deutschlands als eines Schutzraums rechtsstaatlicher Standards, die auch aus einer besonderen Nähe zwischen Rechtsordnung und Rechtswissenschaft resultiert, und die Notwendigkeit, unsere eigene Wissenschaft radikaler zu internationalisieren – also etwas für das Eigene zu lernen, während man es lehrt. Und natürlich die Botschaft, dass wir der Welt noch etwas anderes zu bieten haben als Vergangenheit.

SCHULE?

„Die Klassen 11 bis 13 lernen in der Kuppel“

Mit großem Pathos und blumigen Worten werden auf der Homepage des Humboldt Forums Konzepte für das Stadtschloss vorgestellt. Aber was ist hinter Formulierungen wie „vielfältige Nutzung“ für „Freizeit und Business, für Jung und Alt“ konkret zu erwarten?

Robert Hasse, früherer Schulleiter der Carl-Friedrich-Zelter-Schule, ist Geschäftsführer der START-Stiftung; Michael Knoll leitet das Hertie- Innovationskolleg; Ulrich Maria Rüssing ist Bildungskoordinator im Kreis Barnim.
Bislang fehlt in den Plänen der Aha-Effekt, etwas Unerwartbares, das gegen den Hochglanzstrich gebürstet ist. Etwas, das zum liebenswerten Charakter Berlins als erratisches Gebilde passte. Für dieses einmalige Architektur-Ensemble im Nukleus Berlins wäre es vortrefflich, nicht nur für das zu stehen, was in Kunst, Kultur und Bildung einmal war, sondern auch für das, was noch wird und werden soll.

Was könnte das sein? Da war doch diese kleine Hauptschule in Berlin-Kreuzberg, die vor zehn Jahren zur besten Hauptschule Berlins gekürt wurde. Im Zuge der Berliner Schulstrukturreform sollte sie über die Spree gehen, aber die Schule wollte überleben, und zwar in ebenjenem Schloss in Mitte. So stand es in der Schülerzeitung der Carl-Friedrich-Zelter-Schule vom Dezember 2008, mit dem Hinweis, dass die Klassen 11 bis 13 in der Kuppel lernen sollten, der Schlossvorplatz von den Praxisklassen landwirtschaftlich genutzt würde, und ein „Talk im Schloss“ könnte über Bildung und Drumherum parlieren.

Diese Idee ist mitnichten verrückt. Weil sie es ernst meint mit dem Humboldtschen Bildungsmantra. Das Humboldt Forum soll kein Ort des touristischen Augenblickskonsums sein, keiner, in dem es nur Bildung für Gebildete gibt. Stattdessen: eine Schule für alle. Was würde das für eine Schule werden, an diesem geschichtsträchtigen Ort? Einem Ort, der nicht nur an die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts mahnt, sondern auch an die spießige sozialistische Gerontokratie erinnert? Mit einer Schule der Nationen und Kulturen, der Konfessionen und Religionen würde der gesellschaftliche Zusammenhalt eingeübt.

Leider sind Schulen oft in sich gekehrte Gebilde. So ist bei vielen Schülern an Berlins Sekundarschulen zu beobachten, wie sie sich selbst unbewusst aus der Gesellschaft ausschließen: Sie kapseln sich ein in ihr eingegrenztes sozial-räumliches Milieu und kapseln sich ab von einer Gesellschaft, die sich zunehmend entgrenzt und an der sie sich an vielen Stellen eigentlich einbringen könnten – und auch sollten, denn sie werden gebraucht. Dieses System einer völlig selbstreferenziellen Schule brechen wir mit der gläsernen Schule auf, an der jede und jeder teilhaben kann.

Was fordern wir? Eine Schule im Schloss von der ersten Klasse bis zum Abitur, die jeder und jedem einen individuellen Bildungspfad bietet. Kennzeichnen sollte die Schule erstens ein berufsorientierendes Profil durch einen individualisierten und anwendungsorientierten Unterricht. Zweitens eine Digitalisierung der Bildungsvermittlung durch den Einsatz moderner Medien wie des vernetzen Klassenbuchs. Drittens ihre internationale Einbettung im Geiste der europäischen Idee, jeder Schüler sollte mindestens zwei Wochen im Ausland verbringen. Und schließlich sollte diese Schule ausmachen, kein exzentrisches Ausstellungsstück im Humboldt Forum zu sein, sondern aktiver Teil des Dialogs von Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur und Zivilgesellschaft.

Das Humboldt Forum wird ein Hotspot von Menschen vieler Sprachen, Traditionen und Nationen sein. Da darf eine Schule nicht fehlen, in der sich all dieses spiegelt.

Wir sind uns sicher: Die Humboldt-Brüder, die für Bildung für alle und ein aufgeklärtes Menschenbild standen, wären von dieser Idee begeistert.

 

Quelle: DIE ZEIT – ZEIT Campus, 12.01.2017

 

 

 

18 Kommentare zu “„Wie viel Bildung muss ins Humboldt Forum?“

  1. Garnicht so schlecht. Die Idee mit der Akademie könnte ich mir sehr gut vorstellen. Das würde sowohl gut für Deutschland wie auch fürs Humboldt-Forum sein. Es wäre dann wieder ein repräsentatives Gebäude von Rang!

  2. Der Artikel ist doch wieder nur ein Versuch, das Bauvorhaben zu verzögern und somit ins schlechte Licht zu rücken. Jede Änderung würde die Baukosten steigen lassen und die Fertigstellung des Gebäudes würde länger dauern. Warum kommen die Autoren erst jetzt mit diesem Vorschlag, die Diskussion über das Nutzungskonzept hat vor über 10 Jahren stattgefunden? Dass der Schlosswiederaufbau in dieser politischen Umbruchzeit stattfindet, ist Zufall und der langen Diskussion und Vorbereitung geschuldet. Die Kritik ist daher völlig abwegig und ist das übliche Schloss-Bashing. Sollten es die Herren mit der Akademie bzw. Schule ernst meinen, böte sich doch das noch zu rekonstruierende Gebäude der Bauakademie an. Bei dem Projekt wäre alles noch machbar.

  3. Zuerst soll sich im Schloss-HF das Museum neu erfunden werden, nun auch mal so nebenbei die Schule. Unter der Last der hochgejubelten Erwartungen kann das Forum nur noch enttäuschend zusammenbrechen.

  4. Wegen DIESES blöden Bindestriches! Bindestriche sind nicht blöde, sondern zur Bildung zusammengesetzter Hauptwörter notwendig.

  5. Marcel Oertel dennoch sollten wir uns positionieren….das Umfeld des Schlosses ist zu wichtig für Berlin, um es allein diesem Senat zu überlassen…..

  6. Eine 100 Prozentige !!,denn dafür wurde der Wiederaufbau Berliner Schloss.unteranderem mit Museum konzipiert…Ich kann die Eröffnung am 14.September 2019 vom Humboldt Forum kaum erwarten um alles selbst in Augenschein zu nehmen.

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